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Mein Berlin: Lust und Verlust

Notizen aus der globalen Stadt von Hatice Akyün

Die letzte Woche war für meinen Geschmack erdrückend sexlastig. Ich bekomme schon einen hochroten Kopf, wenn Kuss- und Bettszenen im Fernsehen länger als fünf Sekunden dauern. Dann suche ich hastig die Fernbedienung und schalte auf ein anderes Programm. Es ist offenbar nur uns Frauen ein Rätsel, wie ein Mann, der Kontrolle über so viel Geld hat, machtlos gegenüber seinen Trieben ist. Kann sein, dass wir Türken ein bisschen altmodisch sind, aber die Europäer meinen, alles machen zu dürfen sei modern. Aber auch, wenn man Kultur mit Löffeln isst, kommt es irgendwann auf dem Klo wieder raus. Während die, die kulturelle Aufklärung für sich in Anspruch nehmen, allwissend tun, bringt es mein türkischer Gemüsehändler mit einem simplen Satz auf den Punkt: „Gülme komsuna gelir basina – Nicht über deinen Nachbarn lachen, es könnte dir selbst passieren.“

„Alle Kulturen“, klärt mich ein Freund auf, „entstanden aus den drei Urtrieben: Jagen, Sammeln und Fortpflanzen.“ Heute sei das Jagen der Kapitalismus, Sammeln die Wissensgesellschaft und Fortpflanzung die Rollenbilder. Der Mann strebe beim Sex nach minimalen Reibungsverlusten. Überhaupt war die Frau in der Historie dazu bestimmt, Konflikte zwischen Territorien zu vermeiden. Wenn das schiefging, zog die Allianz der Holzpferde gegen Troja, um die schöne Helena in die Pflicht zu nehmen. Bei Romeo und Julia waren zwei Clans bemüht, ihre Gebiete gegen feindliche Übernahmen abzusichern. Und im Barbier von Sevilla hat ein cleverer Bürgerlicher alles in die Waagschale geworfen, damit die Erstverwertungsrechte an seiner Frau nicht einem Herrscher zum Opfer fallen.

Mir fiel ein Bekannter ein, der Arzt ist. Seine Frau ist wunderschön und eine perfekte Mutter ihrer drei Kinder. Bevor sie ihn geheiratet hat, war sie Stationsschwester. Ein anderer Bekannter ist Anwalt. Seine Frau, auch wunderschön, ist ebenfalls eine perfekte Mutter der zwei Kinder. Bevor er sie geheiratet hat, war sie Rechtsanwalts-Gehilfin. Ein dritter Bekannter ist Chef einer großen Firma. Seine Frau war früher seine Sekretärin. Mir ist allerdings keine Chirurgin bekannt, die mit einem Pfleger verheiratet wäre. Oder eine Kolumnistin, die den Zeitungsboten geehelicht hätte. Meine Herren, kommen Sie mir bitte nicht mit Madonna und ihrem Model-Jüngling oder Prinzessin Victoria von Schweden und dem Fitnesstrainer. Popsängerin und Prinzessin sind keine Berufe.

Warum nur wollen Männer Frauen, die ihnen unterlegen sind? Oder einfacher gefragt: Warum schlafen sich Männer nach unten und Frauen nach oben? Dabei sind wir Schlauen doch ebenso anlehnungsbedürftig. Seit ein Freund dies enträtselt hat, will er nur noch die Intelligenzbestien. Er sagt, selbst schuld, wer unter Wert die Hose runterlasse.

Apropos Hose runterlassen: Herrn Kaisers Männer amüsierten sich in Budapest, Herr Kachelmann bekommt vom Staatsanwalt SMS vorgelesen, und der Mann mit dem vielen Geld darf mit Fußfesseln den Hochsicherheitstrakt verlassen. Warum gehen wir mit diesen Männern eigentlich so feinfühlig um?

Ganz so anklagend möchte ich Sie aber nicht aus der Kolumne verabschieden. Ich kenne einen Gymnasiallehrer, der mit einer Ärztin verheiratet ist. Ein Gegenbeispiel? Pustekuchen! Er betrügt seine Frau mit der Kindergärtnerin. Überrascht fragte ich nach dem Grund. Er sagte, er wolle auch mal nur Anerkennung und nicht jede Meinungsverschiedenheit stundenlang ausdiskutieren müssen. Mein Vater würde sagen: Bin gönülü yikmak kolay, fakat birini yapmak zordur – es ist leicht, tausend Herzen zu brechen, aber schwer, eins zu gewinnen.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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