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Terrorismus kann man nicht wegbomben, sagt Hatice Akyün.

© Andre Rival

Mein Berlin: Muslima des 11. September

Am 10. September 2001 kehrte ich aus New York nach Berlin zurück. Einen Tag später änderte sich die Welt, und für viele bin ich erst seitdem Muslima.

In dieser Woche werde ich öfter die Frage gestellt bekommen, wie sich mein Leben als Muslima seit dem 11. September 2001 verändert hat. Und ich werde antworten, dass ich überhaupt für viele erst seit dem 11. September 2001 Muslima bin. Davor war ich die Türkin, davor die Ausländerin und wieder davor die Arbeitertochter. Im Freundeskreis werden wir uns von diesem Tag erzählen. Jeder weiß genau, wo er an diesem Tag war, wie er von den Anschlägen erfuhr und wie sich dieses Ereignis in die Erinnerung gebrannt hat.

Im Rückblick ist 2001 ein Jahr, über das sich eigentlich nicht viel sagen lässt. Harry Potter war der Bestseller auf dem Buchmarkt, Bayern München gewann die Champions League, wurde Deutscher Meister, Schalke holte den DFB-Pokal. Die CDU erholte sich langsam von den Spendenaffären, die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer musste wegen der BSE-Krise gehen. Rudolf Scharping ließ sich mit Lebensgefährtin im Swimmingpool ablichten und geriet unter Druck, weil man das als ungehörig empfand, während die Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien im Einsatz war.

In Berlin fegte ein Misstrauensvotum Eberhard Diepgen aus dem Amt, und Klaus Wowereit ist seither unser Regierender. Im Kino lief Ocean’s Eleven, und die Hitparade wurde von Alicia Keys, Destiny’s Child, Jennifer Lopez und Christina Aguilera dominiert. Dass es ein normales Jahr geworden wäre, lässt sich auch an meinen Jobs erkennen. Ich hatte ein Fotoshooting mit Jenny Elvers, verbunden mit einer Reportage über ein Konzert von Michael Jackson im Madison Square Garden in New York. Anschließend kam ich nach Berlin zurück. Das war am Montag, den 10. September 2001.

Am nächsten Tag veränderte sich die Welt. 2001 wurde zu dem Jahr, dessen Auswirkungen bis heute unseren Alltag bestimmen. Ohne dass sich das jemand gewünscht hätte, ging die Weltöffentlichkeit inklusive der muslimischen Welt den Attentätern auf den Leim. Wir ließen einen Zusammenhang zwischen dem Islam und Terrorismus zu. Seit dem 11. September 2001 werden Mitbürger islamischen Glaubens mit diesem Tag in Verbindung gebracht. Der Islam wird verallgemeinert, pauschaliert und demagogisiert. So sehr es mich freut, dass viele in Deutschland nun den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten kennen, so sehr störe ich mich daran, dass ich seit dem 11. September mit einem Rucksack herumlaufen muss, in den jeder seine Probleme mit islamischen Mitbürgern reinstecken darf.

Drei Dinge habe ich aus dem 11. September gelernt: Wenn unser Gemeinwesen von außen durch Verbrecher bedroht wird, müssen wir für unsere demokratischen Werte gemeinsam einstehen. Gegen Gewalt terroristischer Gruppen helfen keine noch so gut gemeinten Sicherheitsgesetze, die untergraben, was sie zu schützen suchen, nämlich unsere Freiheit. Und Terrorismus kann man nicht wegbomben. Dazu gehört, dass die Welt aufmerksam registriert, wie wir uns in der Welt verhalten. Das gilt für unsere Geschäfte im Export genauso wie für unsere Sozialpolitik im Kiez vor Ort.

Ich will gar nicht in die Falle laufen, den 11. September zu rechtfertigen. Beim oft vorgetragenen Argument, Terrorismus komme ausschließlich aus islamischen Ländern, möchte ich an die RAF erinnern und daran, dass bis zum Jahr 2000 in Nordirland Katholiken und Protestanten sich gegenseitig mit Bombenattentaten umbrachten.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Zengin urba giyse, güle güle derler, fakir palas giyse, bunu kimden aldin derler“ – Trägt ein Reicher ein neues Gewand, sagt man, es ist schön, beim Armen fragt man: Wo hast du es her?

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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