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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Mein Berlin: Türkische Eltern haben die Macht

Wenn Hatice Akyüns Eltern zu Besuch kommen, wird es anstrengend, weil sie dann das Sagen haben. Die Autorin erklärt, wie es ist, sich als Erwachsene den Regeln anatolischer Eltern zu beugen und trotzdem zu lachen.

Meine Eltern machen ein Sabbatical. Sie haben sich eine Auszeit genommen. Sozusagen raus aus dem Trott, Neues entdecken, dem Alltag entkommen. Deshalb haben sie ihr Sommerhäuschen an der Ägäisküste verlassen und sind nach Berlin gekommen. Einfach mal weg von Sonne, Meer und dem immergleichen Rentnerdasein. Ist ja auch nicht auszuhalten, dieses Leben. Damit sich die furchtbar lange Anreise von drei Flugstunden auch wirklich lohnt, bleiben sie gleich mehrere Monate. Natürlich sind sie nicht meinetwegen hier, sondern weil sie ihre Enkeltochter vermissen, die Tochter eines Bekannten heiratet – und ihnen die Hitze in der Türkei im Alter immer mehr zu schaffen macht. Aber das würden sie natürlich niemals zugeben.

Manchmal wünsche ich mir, ich hätte ganz normale deutsche Eltern, die ihren Besuch bei mir nicht mit den Worten ankündigen: „Wir sind gelandet, hol’ uns vom Flughafen ab.“

Ich kenne deutsche Eltern, die im Hotel übernachten, wenn sie ihre Kinder besuchen. Ich schwöre, das habe ich selbst bei einer Freundin erlebt. Ich möchte nicht wissen, wie viele Knochen ich gebrochen bekäme, wenn ich das meiner Mutter vorschlagen würde. Allein die vorsichtige Anregung, einen Abend in einem türkischen Restaurant zu verbringen, bestraft sie mit tagelangem Beleidigtsein. Wenn meine Mutter ihre Kinder zurechtweist, klingt es mitunter ziemlich erbarmungslos. Wenn ich mich zum Beispiel mit meinen Geschwistern zu lange auf Deutsch unterhalte, sagt sie: „Mögen Wespen eure Zungen stechen.“ Wenn wir Schimpfwörter benutzen, bekommen wir zu hören: „Ich zerreiß euch eure Münder.“ Manchmal, wenn sie wirklich sehr böse auf mich ist, sagt sie: „Allah soll dir das Leben nehmen.“ Aber sie meint es nicht so.

Es gibt bezüglich meiner Mutter zwei Gesetze, die bei uns ohne Ausnahme gelten: Nur sie darf auf dem Beifahrersitz des Mercedes sitzen, und man darf ihr niemals das Gefühl geben, dass sie stört. Sobald sie das spürt, ziehen sich Zornesfalten auf ihrer Stirn zusammen, sie bäumt sich auf und klagt mit bebender Stimme: „Ich habe dich neun Monate im meinem Bauch getragen, du warst von meinen sechs Kindern das Schwierigste. Ist das der Dank für all meine Strapazen?“ Ihre Augen werden ganz klein, und sie zieht sich gekränkt in die Ecke des Sofas zurück. In einer solch verfahrenen Situation gibt es nur eine klitzekleine Chance, eine türkische Mutter zu besänftigen. Man muss sie in den Arm nehmen und ihr sagen: „Liebste Mutter, das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter.“

Mein Vater hält sich wie immer aus allen Streitigkeiten heraus. Er weiß ganz genau, was ihm nach über 50 Jahren Ehe mit einer anatolischen Frau blüht, wenn er sich ungefragt zu Wort meldet. Auch wenn mein Vater stets einen auf dicke Hose macht, meine Mutter hat bei uns zu Hause trotzdem die Hosen an. Und das, obwohl sie nie welche trägt. Sie ist das Machtzentrum aller wichtigen Entscheidungen und Weichenstellungen im Haus. Bei aller Rührung, die mich überkommt, wenn mein Vater meine Mutter als die faktische Führungskraft im Akyün-Clan anerkennt – aber ist das der Preis für eine unzerbrechliche Zweierbeziehung? Oder ist das einfach die grenzenlose Fürsorge aus einer vergangenen Zeit, zu der wir Individualisten gar nicht mehr fähig sind? Da sind wir jungen Deutschen schlichtweg viel zu pragmatisch. Eine Ehe ist eine Zugewinngemeinschaft, und wenn es nichts mehr zu gewinnen gibt, wird sie eben geschieden. Oder wie es mein Vater sagen würde: „Atesle oynama elini yakar, kadinla oynama evini yakar – Spiel nicht mit Feuer, sonst verbrennst du dir die Hand. Spiel nicht mit einer Frau, sonst brennt dein Haus.“

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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