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Berlin: Mein Chef bin ich

Die arbeitslose Birgit Fuchs wagt als eine der ersten in Berlin das Abenteuer „Ich-AG“

Birgit Fuchs aus Tempelhof hat schon 16 verschiedene Jobs gehabt – jetzt will sie ihr eigener Chef sein. Und als eine der ersten in Berlin eine „Ich-AG“ gründen. Deswegen sitzt die 37-Jährige am Mittwoch im Arbeitsamt. Die Idee der arbeitslosen Frau: Als selbstständige Handelsvertreterin will sie sich und ihre zehnjährige Tochter Larissa durchs Leben bringen. Um 11.16 Uhr beginnt im Arbeitsamt Tempelhof das Abenteuer Ich- AG mit einem grüne Wartekärtchen mit der Nummer 708. Birgit Fuchs schmunzelt, als ihr Blick über den voll besetzten Wartesaal schweift. „Kenn’ ich. Dauert mindestens eineinhalb Stunden. War aber auch schon schlimmer.“

Die gelernte Chemielaborantin hat als Kundenbetreuerin oder im Callcenter gearbeitet und ist seit April 2002 ohne Stelle. Und ab 25. Januar wird sie kein Arbeitslosengeld mehr bekommen, sondern nur noch Arbeitslosenhilfe - 150 Euro monatlich weniger für sie und Tochter Larissa. „Den Einschnitt merkt man. Da ist die Idee mit der Selbstständigkeit doch so schlecht nicht“, macht sie sich selbst Mut. Als ihre Eltern ihr Anfang der Woche den Tagesspiegel-Artikel ausgeschnitten haben, in dem von 9000 Ich-AGs in Berlin bis Jahresende die Rede war, war für die Tempelhoferin klar, dass sie es auch probieren will mit dem eigenen Chef-Sein.

Der Kern der Ich-AG: Arbeitslosen mit staatlichen Zuschüssen den Sprung in die Selbstständigkeit ermöglichen. Die eigene, möglichst viel versprechende Geschäftsidee vorausgesetzt, steuert der Staat im ersten Jahr des eigenen Kleinstunternehmens 600 Euro monatlich bei, im zweiten 360 und im dritten Jahr 240 Euro. Die Ich-AG-Gründer dürfen jährlich nicht mehr als 25 000 Euro verdienen und müssen sich selbst kranken- und rentenversichern.

Birgit Fuchs will möglichst schon ab Februar in ihrer eigenen Firma Geld verdienen, indem sie die kleinen Werbeflächen an der Stirnseite von Supermarkt-Einkaufswagen vermarktet und Interessenten an diesen Flächen an eine Werbeagentur in Teltow weiter vermittelt. Und für eine Tierfutter-Firma will sie auch neue Kunden akquirieren. Jahrelang hat sie für alle möglichen Firmen am Telefon gesessen und in der Kunden-Akquise gearbeitet - „mein Unternehmen würde ich mir auf jeden Fall zutrauen“.

So weit, so unklar. Denn vor den Start des staatlich protegierten Kleinstunternehmens hat die Bundesanstalt für Arbeit viele Antragsformulare geschoben. Birgit Fuchs liest sich im Wartesaal der Behörde in Tempelhof zum x-ten Mal Frage „2.1.“ auf dem dreiseitigen Formular durch. „Sind Sie in einer persönlichen Abhängigkeit eines Auftraggebers, insbesondere durch inhaltliche oder fachliche Weisungen, eingebunden?“ steht da auf grauem Umweltschutzpapier. Was damit gemeint ist, soll ihr die Arbeitsvermittlerin erklären. „Wenn ich abhängig bin von einem Auftraggeber, kann ich doch keine eigenständige Ich-AG gründen, oder?“, fragt sie bange: Schließlich hat sie doch nur zwei Auftraggeber.

Diese Frage kann auch die Vermittlerin Katrin Walther zunächst nicht beantworten, bei der Birgit Fuchs nach einer guten Stunde Wartezeit vorsprechen darf. „Die Ich-AG ist auch für uns noch neu“, entschuldigt sich die Frau von der Behörde. Mit Hilfe einer Vorgesetzten wird das Problem gelöst: Birgit Fuchs darf als Handelsvertreterin unter dem Dach der Ich-AG arbeiten, wenn sie sich beim Finanzamt eine eigene Steuernummer besorgt und sich selbstständig kranken- und rentenversichert. Denn: Birgit Fuchs kann ihre Arbeitszeiten frei gestalten und hat auch die freie Wahl in ihren Arbeitsmitteln.

Um 12.43 Uhr hat die demnächst selbstständige Handelsvertreterin grünes Licht für die Gründung ihrer Ich-AG. Birgit Fuchs ist erleichtert. „Aber freuen kann ich mich noch nicht. Da bin ich zu skeptisch den Behörden gegenüber. Ich glaub’ erst, dass es klappt, wenn ich die ersten 600 Euro vom Arbeitsamt überwiesen bekommen habe.“

Heiko Wiegand

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