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Berlin: Mein eigener Grenzturm

Das private Mauermahnmal am Checkpoint Charlie ist umstritten. Am Nordhafen gibts längst so ein Projekt

Mausgrau sieht er aus und ein bisschen mickrig. Die neu gebauten Mietshäuser nebenan sind über den Turm weit hinausgewachsen. Bis zur Wende war der Betonklotz einer von 520 Kontrolltürmen entlang der Berliner Mauer und beherbergte eine Führungsstelle der DDR-Grenztruppen. Heute döst die Schäferhündin Anna draußen am Sockel des Betonklotzes an der Kieler Straße 2 nahe dem Nordhafen in Mitte auf einer Matratze und wartet auf ihr Herrchen. Das dauert manchmal lange, Jürgen Litfin führt oft Besucher durch seinen Turm, den er vor vier Jahren gerettet hat, um einen der letzten spärlichen Reste der einstigen Grenzanlage als authentisches Mahnmal zu bewahren.

Die private neue Mauergedenkstätte am Checkpoint Charlie ist umstritten, doch in Berlin und am Stadtrand gibt es schon längst solche Projekte in den letzten erhaltenen Grenzkontrolltürmen (siehe auch Kasten). Dass der 65-jährige Jürgen Litfin heute jede freie Minute und viel Erspartes in den Turm steckt, hängt auch mit einem Schicksalsschlag vor 43 Jahren zusammen: Am 24. August 1961 wurde sein Bruder Günter Litfin als erstes Maueropfer ganz in der Nähe von DDR-Grenzern erschossen. Er hatte versucht, schwimmend durch den Humboldthafen zu entkommen.

Jürgen Litfin sieht die heutige Situation ähnlich wie die Initiatoren am Checkpoint Charlie. „Ich möchte nicht auf das schon viel zu lange versprochene Mauergedenkstätten-Konzept des Senats warten“, sagt er – und handelte, als die Hausherren der angrenzenden neuen Wohnblocks ihren Mietern den Anblick des zwölf Meter hohen Turmes ersparen wollten. Die Platte sollte verschwinden. Litfin legte dem Bezirk im Jahr 2000 ein inhaltliches Konzept vor, warb erfolgreich für den Fortbestand des damals schon gültigen aber umstrittenen Denkmalschutzes, erhielt ein langjähriges Nutzungsrecht, brachte 40 000 Euro für die Sanierung im Inneren zusammen – dann machte er sich als Bauhandwerker mit Freunden an die Arbeit und hängte zur Eröffnung im Sommer 2003 ein Schild an die Außenwand: „Gedenkstätte Günter Litfin“.

Erinnern soll sein Turm allerdings „an alle Opfer und Verbrechen des SED-Regimes“. Und das beginnt im Kellerraum mit einer multimedialen Dokumentation zur Mauergeschichte, die Litfin für Schulklassen ablaufen lässt. Auf Stahlgittertreppen steigt man von dort hinauf ins oberste Stockwerk mit den zugigen Fenstern. Im Parterre und der ersten Etage sickert Tageslicht nur durch Schießscharten in die winzigen 16 Quadratmeter -Räume.

An ihren Wänden blättert Litfin in Klapptafeln mit Illustrationen und Dokumenten, erläutert den Aufbau der Grenzanlagen oder zeigt den Platz, wo der Führungsoffizier am Kommandotelefon saß. „Nur der hatte die Schlüssel zur Alarmtechnik“, erzählt er und weist auf eine Puppe in NVA-Uniform. „Die fürchteten ja, dass ihre eigenen Leute die Drähte außer Kraft setzen und türmen könnten.“

In dieser Woche hat er schon Schulklassen aus Los Angeles geführt oder Londoner Studenten und sieht seine Erwartung bestätigt: „Es kommen mehr Ausländer und deutsche Touristen als Berliner.“ Außerhalb interessiert man sich mehr für den Turm als in der einst geteilten Stadt. Vermutlich zahle ihm der Senat auch deshalb keine Unterstützung, obwohl die Betonwände dringend saniert werden müsste. Litfins letzter Antrag wurde abgelehnt. Man riet ihm, es bei der Lottostiftung zu versuchen.

Geöffnet Mo. bis Do., 12-18 Uhr, So. 14-18 Uhr. Tel: 0163-3797290. od. 23626183.

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