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Berlin: Mein Vater, der Kriegsverbrecher

55 Jahre lang hat Beate Niemann mit einer Lüge gelebt. Dann fand sie heraus, dass ihr Vater nicht unschuldig in der DDR inhaftiert war.

55 Jahre lang hat Beate Niemann mit einer Lüge gelebt. Dann fand sie heraus, dass ihr Vater nicht unschuldig in der DDR inhaftiert war. Tatsächlich war er ein Kriegsverbrecher, ein Karrierepolizist der SS, der massenhaftes Morden in einem Lager bei Belgrad organisierte – „ein Mörder“, wie sie sagt. Aus ihrem Buch über die Suche nach der Vergangenheit ihres Vaters hat sie am Donnerstagabend in der Stiftung Topographie des Terrors gelesen. „Ganz hier in der Nähe“ derTopographie sei ihr Vater 1947 verhaftet und in die sowjetische Besatzungszone verschleppt worden. Dort machten die Geheimdienstler mit ihm, was er in den Jahrzehnten zuvor mit Kommunisten gemacht hatte – Bruno Sattler wurde inhaftiert, vernommen und in einem sehr kurzen Prozess verurteilt.

Beate Niemann war zu dieser Zeit ein Kriegskind ohne Vater. Dessen Bild an der Wand sei immer mit Blumen verziert gewesen, erzählte sie. Und sie, die jüngste Tochter, fühlte sich dem abwesenden Vater besonders verbunden – viel näher als den älteren Schwestern und der Mutter. „Du bist wie dein Vater“, habe ihre Mutter ihr vorgehalten – „das fand ich grandios“.

Was diese kleine grauhaarige Frau durch die Suche nach der Vergangenheit ihres Vaters mitgemacht hat, ist allenfalls zu erahnen. Mit leichter Distanz im Ton, sachlich in der Sprache, trug sie vor, wie aus dem zu Unrecht verurteilten großen Mann in Uniform der Nazi wurde, der dem Regime diente wie viele tausend andere – effizient, ehrgeizig und offenbar ohne jedes Schuldgefühl. Ein „No-name“, wie sie sagt, aber einer von denen, ohne die das Terror-Regime nicht funktioniert hätte.

Als Beate Niemann zu Ende gelesen hat, ist es still – erst nach einer Pause, die aus vielen Schrecksekunden zu bestehen scheint, kommt der Beifall. Es sind Zuhörer jeden Alters, die applaudieren, und der Applaus bezieht sich wohl auch auf die moralische Wucht, mit der sich Beate Niemann in die Suche nach der Vergangenheit ihres Vaters gestürzt und über ihn geurteilt hat. Nebenbei korrigiert sie ein Vorurteil – nicht über die Generation ihrer Eltern, sondern über die eigene. Sie habe als typische Achtundsechzigerin an den Vorwürfen ihrer Generation gegen bestimmte Politiker von ’68 nie gezweifelt. Aber zu Hause habe sie nicht nach der Vergangenheit der Eltern gefragt. „Ich kenne keinen, der seine Eltern gefragt hätte.“

Beate Niemann: Mein guter Vater. Mein Leben mit seiner Vergangenheit. Eine Täterbiographie. Verlag Hentrich und Hentrich, Teetz 2005. 223 Seiten, 19,90 Euro

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