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Berlin: Meine Liebe hat drei Ecken

Das Leben mit zwei Ehefrauen ist nicht leicht. Von der Hand des schwarzen Sklaven geweckt, steht Ben Atar schwankend auf, um über Deck an feixenden Matrosen vorbei zu seiner zweiten Frau zu gelangen.

Das Leben mit zwei Ehefrauen ist nicht leicht. Von der Hand des schwarzen Sklaven geweckt, steht Ben Atar schwankend auf, um über Deck an feixenden Matrosen vorbei zu seiner zweiten Frau zu gelangen. Gilt es doch, keine zu benachteiligen und der einen dasselbe Vergnügen zu bereiten wie der anderen. "Die Reise in das Jahr Tausend" (Piper Verlag, München 1999, 416 Seiten, 44 Mark) heißt der neuste Roman von Abraham B. Jehoschua: Der orientalisch-jüdische Kaufmann Ben Atar schippert von Tanger Richtung Seine-Mündung, um seinen Neffen und Handelspartner Abulafia in Paris zu treffen. Denn seitdem der eine Jüdin aus Worms geheiratet hat, geriet die gewinnbringende Partnerschaft aus dem Lot, der gewiefte Kenner mitteleuropäischer Märkte hat dem Onkel die Partnerschaft aufgekündigt. Und so macht sich Ben Atar mit dem Dritten im Bunde, dem Muslim Abu Lutfi, auf, den Abtrünnigen wieder zur Zusammenarbeit zu bewegen.

Was zunächst erscheint wie die üblichen Zwistigkeiten zwischen Verwandten, die auseinandergeraten, sobald eine intrigante Ehefrau auf der Bildfläche erscheint, entpuppt sich als veritabler Nord-Süd-Konflikt: Das Zerwürfnis gründet in der Abscheu der Wormserin gegenüber den orientalischen Religionsbrüdern, die immer noch die Vielehe zulassen, während sie in Mitteleuropa den Juden durch Rabbiner-Edikt verboten wurde. Daher nimmt Ben Atar auch die strapazenreiche Reise mit seinen beiden Frauen auf sich, geht es doch um mehr als den geliebten Neffen und eine Handelspartnerschaft. Hier steht seine Ehre und die der ganzen orientalischen Judenheit auf dem Spiel. Er will der blonden Gegnerin persönlich unter die blauen Augen treten, um seine "Doppelheit", wie er seine Zweibeweibtheit nennt, zu verteidigen. Hofft gar, die Frau des Neffen von den Vorzügen solchen Arrangements zu überzeugen. So dienen seine kraftraubenden nächtlichen Gleichbehandlungsversuche nicht nur der Gerechtigkeit seinen zwei Lieben gegenüber, sondern auch der inneren Vorbereitung auf die Monogamie-Fanatikerin in Paris.

Jehoschua singt nicht nur ein Loblied auf die Bigamie, er lässt auch eine Zeit wiederauferstehen, in der das Mittelmeer zwischen Islam, Judentum und Christenheit keine trennende Mauer bildete, sondern Bindeglied war des Kultur- und Handelsaustausches von Küste zu Küste, von Eigenart zu Eigenart. Ihm gelingt eine einfühlsame Parabel auf die heutige israelische Gesellschaft. Denn kaum ein Graben scheint unüberwindbarer, als der mentale zwischen orientalischen und westlichen Juden, zwischen Sepharden und Aschkenasen. Auch das Thema ist nicht ganz aus der Luft gegriffen, brachten doch manche 1948 nach Israel geflüchteten arabischen Juden oft mehr als nur eine Ehefrau mit ins gelobte Land.

Jehoschua führt die Sinnlichkeit und abwechslungsreiche Spannung einer solchen Dreiecksehe gegen die rationale Eintönigkeit des europäischen Ehemodells ins Feld. Die Kontrahenten machen sich auf dem Landweg dann auch nach Worms auf, um von der "heiligen Gemeinde" ein Urteil zu erhalten. Am Ende kann keiner der nord-südlichen Konkurrenten einen eindeutigen Sieg davon tragen. Einzig der Araber Abu Lutfi sieht sich in seiner Grundüberzeugung bestätigt, "dass kein Jude der Welt einen anderen Juden endgültig unterkriegen, sondern ihm höchstens den Verstand verwirren kann".Abraham B. Jehoschua liest heute um 20 Uhr im Berliner Literaturhaus, Fasanenstr. 23.

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