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Berlin: „Meine Show ist meine Therapie“

Highlights und Neuheiten in Theater, Oper und Kabarett – das Berliner Bühnenprogramm ist dicht gedrängt in diesem Jahr. Einer, der gerade Premiere feierte, ist Stefan Jürgens. Der Ex-RTL-Comedian will mit seinem ersten eigenen Programm Berliner Leben retten

Eine Stunde bevor heute Abend seine Show beginnt, steigt bei Stefan Jürgens das Lampenfieber. „Wenn sie bei den ersten drei Sachen lachen, gehören die nächsten zehn Minuten erst mal mir“, sagt er. Erstmals hat der Komiker ein Publikum, das er von der Bühne allein überzeugen muss. „Alles anders“ nannte Jürgens sein Programm, mit dem er seit Anfang Januar im Tränenpalast gastiert – einer der vielen Höhepunkte in diesem Jahr.

„Alles anders“, das gilt irgendwie auch für Jürgens selbst. Aus der dunklen, strengen Soldaten-Frisur wurden blond-baumelnde Löckchen. Aus den fiesen Witzen auf Kosten Dritter in der RTL-Comedy-Show „Samstag Nacht“ wurden Pointen, die „lebensrettend“ sein sollen. Jürgens machten die Blödel-Rollen wie „Bruder Gottfried“ oder dem Koch aus dem „Kentucky Schreit Ficken“-Sketch bekannt. Aber er möchte heute nicht mehr über sie definiert werden.

„Was passiert, wenn Frauen Zeitpläne machen“ oder „Wie ich auf einer Party super- wichtig wirke“ sind heute Themen, mit denen er die Leute zum Lachen bringen will. Meist belächelt er selbst, was er sagt. Aber manches davon bedauert er auch, wie beispielsweise ein immer rasanteres Lebenstempo. „Wo habe ich schon mal eine Stunde nur für mich?“, fragt er. Und: „Ich empfinde meine Show als eine persönliche Therapie.“ Was er vorträgt, hat er auch erlebt.

Der gebürtige Westfale kam 1983 zum ersten Mal nach Berlin. „Ich war verliebt. Die Frau hat mir die Stadt gezeigt.“ Der 1,90 Meter große Mann spielte dann in Schöneberg Theater und trank in Kreuzberg Bier. Nach der Wende ging er nach Bochum und Köln, lernte Theater und spielte Musik. Der heute 41-Jährige wurde als Kind klassisch-bürgerlich ausgebildet. Die Musik wurde ein „emotionales Ventil“. Erst spielte er Rock, dann hört er einen Song von Jacques Brel – „der hat mich umgehauen, dieser kompromisslose, emotionale Einsatz“ – und er spielt selber Chansons.

Auch zu seiner Tempodrom-Show gehört Musik. Nach einer Stand-up-Erzählstrecke setzt sich Jürgens ans Piano und begleitet sich zu melancholischen Liedern, die er selbst geschrieben hat. Und dann wieder Comedy, damit es nicht zu traurig wird. „Langstreckenlauf“ heißt seine aktuelle CD. Die Geduld, die dazu nötig ist, fehlte ihm lange. Nach der Schauspielschule hatte er schnell das Warten auf Rollen satt. Diesen monotonen Kreislauf: Theater, Essen, Trinken, Tanzen, wieder Theater. „Ich kam da nicht weg. Mittags schon das erste Bier“, sagt Jürgens. Dann ging er zu einem Casting von RTL. Er bekam die Stelle und dafür den Bayerischen Filmpreis. Nach fünf Jahren hörte die Sendung auf, er ging weiter. „Ich bin in kein schwarzes Loch gefallen“, sagt er. „Ich habe nicht eine Sekunde nachgedacht.“

Er ging wieder nach Berlin. Neben Rollen in Fernseh- und Kinofilmen wurde der Kabarettist für sechs Folgen SFB-Tatortkommissar. „Ich wollte mich nicht wieder festlegen auf ein Format“, sagt er. Aber er hat dabei Berlin neu kennen gelernt, sich in die Stadt verliebt, die Veränderungen gespürt. „Berlin ist aggressiver und härter geworden“, sagt er. Einmal habe sich ein Taxifahrer geweigert, ihn zum Flughafen zu fahren. Auch sei nichts mehr so „ungeordnet, jung und lebendig“ wie früher in Kreuzberg. Die Menschen hätten resigniert. „Berlin ist irgendwie der Rock’n’Roll abhanden gekommen.“ Aber trotzdem: „Ich hab hier die volle Reibung.“ Trotzdem ging Jürgens wieder weg, nach Ibiza mit der Frau und den drei Kindern. Dort entwickelte er sein eigenes Show-Programm. Mit seiner Sicht auf das Leben, seinem Lachen und seiner Tristesse. „Meine Art von Entertainment hat sich verändert“, sagt Jürgens. Nun ist er wieder hier. In Charlottenburg.

Wenn Jürgens heute Abend im Tränenpalast spielt, wird er nochmal an seine Jugend denken. „Ich war ja früher viel bei Freunden im Osten. Da bin ich dort immer durchgegangen.“ Dass bei manchen Auftritten nur etwas mehr als 100 Leute kommen, nimmt er gelassen. „Das liegt an Berlin. Hier lässt sich nichts kalkulieren. Es gibt zu viel an kulturellem Angebot.“ Im Laufe des Abends hat sich alles vermischt. Witz mit Nostalgie, Bissiges mit Verzweiflung. Jürgens schlägt Brücken. „Ich kreise immer um meine Mitte“, sagt er. Das Publikum dreht sich mit.

„Alles anders“, heute Abend im Tränenpalast, 20 Uhr, Karten 19 Euro. Weitere Vorstellungen: 28. Januar, 18. und 25. Februar

Maxi Leinkauf

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