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Meine Woche (31): Gebrochen

Der Syrer Ahmad Al-Dali, 25, ist seit Mai 2015 in Berlin. Hier erzählt er, wie ihm die Stadt begegnet.

Ahmad, wie geht es Ihnen?

Danke, gut. Obwohl, naja, ich habe mir am Samstag die Schulter gebrochen.

Aua! Was?
Ich habe draußen „Capture the Flag“ gespielt, zwei Teams, die einander die Fahne klauen müssen. Ich hatte die der anderen gerade in der Hand – da ist ein Typ voll auf mich draufgesprungen.

Schlimm!
Es tut gar nicht so weh, aber mein Arm ist jetzt fest am Körper fixiert, schräg vor der Brust, wie beim islamischen Gebet. Sechs Wochen muss das so bleiben. Ich kann nicht arbeiten, nicht Bass spielen, nicht schreiben.
Wie kommen Sie denn im Alltag zurecht?
Ach, es geht. Ich brauche eine halbe Stunde, nur um mir die Schuhe zuzubinden. Wenn alles vorbei ist, wird meine gesunde linke Hand gut trainiert sein.

Sie sind wirklich ein Optimist.
Zuerst bin ich total zusammengebrochen. Ich dachte: Alles, was ich mir vorgenommen habe, steht plötzlich auf Stopp. Habe ich denn kein Recht darauf, auch mal glücklich zu sein?

Das dürfen Sie nicht denken.
Ich weiß. Aber dann ist gestern auch noch ein Cousin von mir gestorben, mit 26, an Krebs. Er war schon einige Monate in Berlin, er kam wie ich über die Türkei.

Oh, das tut uns sehr leid! Sie haben nie über ihn gesprochen.
Ja, ich weiß nicht viel über ihn. Ich habe ihn hier auch nie getroffen, das macht mich jetzt echt fertig. Seine Schwester wurde noch aus Syrien eingeflogen, mit einem Sondervisum, um Knochenmark zu spenden. Hat nicht funktioniert.

Wie traurig.
Darum ist mein arabisches Wort diesmal mksor, gebrochen. Ich fahre über Pfingsten nach Wien, treffe Freunde und meine Schwester. Neulich noch hatte ich mich darauf gefreut – jetzt brauche ich es sogar.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

Die Fragen stellte Jan Oberländer.

Ahmad Al-Dali

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