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Volles Haus. Dass mehrere Hundert Gläubige zum Gottesdienst kommen, ist in Transkarpatien nichts besonderes. In Deutschland schon.

© privat

Menschen helfen: Hilfe für Pfarrer in Osteuropa

Die „Evangelische Partnerhilfe“ unterstützt verarmte Glaubensgemeinden in Osteuropa – und erlebte in der Ukraine große Frömmigkeit und bittere Not.

Dass Menschen abends im Dunklen sitzen, einfach deshalb, weil sie kein Geld für Licht haben, nicht für Strom, nicht für Kerzen, und was gäbe es auch zu sehen, wenn es hell wäre? Was hätten sie schon anzuschauen, außer den sie umgebenen Zeugnissen bitterer Armut?

Nein wirklich, sagt Dagmar Christmann, das, was sie auf der Reise in die ungarisch besiedelten Gebiete der Westukraine erlebten, habe auch die Hartgesottenen in der Gruppe erschüttert, und sie fragten sich: Kann das angehen, hier in Europa? Darf das sein?

Christmann, 57, sorgsam büromäßig zurechtgemacht, sitzt als Geschäftsführerin und einzige Angestellte der „Evangelischen Partnerhilfe“ im schmucklosen Vereinsbüro in der Ziegelstraße hinter dem Friedrichstadtpalast. Bei ihr ist Ulrich Barniske, der Vereinsvorsitzende. Er ist Pfarrer in Rente aus Brandenburg/Havel. Und damit ist er auch ein ehemaliger Nutznießer des Hilfswerks, das vor dem Mauerfall ein großes West-Ost-Hilfsprogramm war und „Kirchliche Bruderhilfe“ hieß. Die war nötig, weil die ostdeutschen Pfarrer wenig verdienten, sodass es ihnen an vielem fehlte. Barniske erinnert sich lachend, von der Unterstützung einmal einen Satz dringend nötige Winterreifen erstanden zu haben. Nach 1989/90 stellten die Westpfarrer ihr Hilfswerk nicht ein, sondern richteten gemeinsam mit den Ostkollegen den Blick nach Osteuropa. Wie Dagmar Christmann sagt, spenden seither die Ostdeutschen und besonders die Sachsen fleißig.

„Für die, denen es heute so schlecht geht wie ihnen damals“, sagt Christmann.

„Noch schlechter“, sagt Barniske.

„Noch schlechter“, nickt Christmann.

Das Prinzip ist aber dasselbe geblieben: Spenden von Mensch zu Mensch. „Stille Solidarität“, sagt Barniske. 2015 sind so etwas mehr als 1,6 Millionen Euro zusammengekommen. Das Geld geht vor allem an Mitarbeiter aus 40 osteuropäischen Partnergemeinden. Ausgewählt werden die Empfänger nach strengen Kriterien, wer hat Kinder, wie viele, wer ist krank, wie sehr und so weiter. Einige der Gemeinden haben sie auch schon besucht. In Ländern, in denen die Lage – Barniske, der seine Worte mit sehr viel Bedacht wählt, zögert – „erkennbar schwierig“ sei, sagt er dann. Estland, Rumänien, Tschechien, Ungarn.

Es ist Krieg, und die Pfarrer sind die letzten Männer im Dorf

Darum war im Herbst für die elfköpfige Ukraine-Reisegruppe, bestehend aus Vertretern der neun Kircheninstitutionen, die in der Partnerhilfe mitmachen, einiges, was sie dort erlebte, erwartbar gewesen: die herzliche Gastlichkeit, die große Dankbarkeit, die vergleichsweise ausgeprägte Frömmigkeit, die vollen Kirchen, die leeren Kassen. Aber eins hatten die deutschen Kirchenleute bisher noch nicht erlebt. Ein Land im Krieg. Wenn die Männer weg sind. Entweder eingezogen oder auf der Flucht vor dem Militär. Was die zurückbleibenden Frauen, Kinder und Alten in noch größere Nöte stürzt, existenzielle Nöte. Von der dauernden Angst um das Schicksal ihrer Männer, Söhne, Väter ganz zu schweigen. Dann seien die Pfarrer die letzten Männer in der Gegend, erzählen sie, die als Bäcker ranmüssen, als Lehrer, als Notarzt, als Feuerwehrmann, die, wenn nötig, auch die Straße flicken – und dabei doch selbst kaum genug zum Leben haben.

"Freunde erkennt man daran, dass sie kommen, wenn die anderen gehen"

Volles Haus. Dass mehrere Hundert Gläubige zum Gottesdienst kommen, ist in Transkarpatien nichts besonderes. In Deutschland schon.
Volles Haus. Dass mehrere Hundert Gläubige zum Gottesdienst kommen, ist in Transkarpatien nichts besonderes. In Deutschland schon.

© privat

Dagmar Christmann, die sagt, sie habe dereinst buchhalterische Korrektheit und regelmäßige Kontrollen der Vereinskonten zur Bedingung für ihre Einstellung gemacht, ringt im Laufe der Erzählungen immer mit ihrer Fassung und dann steigen ihr letztlich doch Tränen in die Augen. Weil Menschen in Not oft so warm und wahrhaftig werden, dass es die Notlosen mitunter heftig packt. In der Ukraine klang das so: „Freunde erkennt man daran, dass sie kommen, wenn andere gehen.“ Das haben die Pfarrer aus den kleinen ungarisch bevölkerten Örtchen Derzen oder Beregovo den Besuchern gesagt.

Den Satz hat sich auch Ulrich Barniske gemerkt. Er hat die Gegend, die sich Transkarpatien nennt, also das westliche Grenzgebiet zwischen der Ukraine und den EU-Ländern Ungarn und Rumänien, vor acht Jahren schon einmal bereist, und war darum nicht ganz so überfordert von dem Gesehenen. Sein Eindruck, so sagt er, sei gewesen, dass der Besuch der Kirchengruppe aus Deutschland den geplagten Glaubensbrüdern in der Ukraine das unbezahlbare Gefühl gegeben habe, nicht vergessen worden zu sein.

Der Glaube halte die Menschen aufrecht, sagt er

Dass sich Abgesandte der Evangelischen Kirche in Deutschland, des Reformierten Bunds, des Martin-Luther-Bunds, der deutschen und auch der österreichischen Pfarrer- und Pfarrerinnenverbände auf den langen Weg zu ihnen gemacht hätten, um ihre Nöte und Sorgen anzuhören, das sei am Ende vielleicht viel wichtiger gewesen als das Geld, das sie dabeihatten. 800 Euro pro Pfarrer, eine einmalige Unterstützung, aber was für ein Segen für einen, der mit einem Gehalt von 150 Euro im Monat auskommen muss.

Umgekehrt konnten die Besucher aus dem reichen, kirchenfernen Deutschland mal wieder erleben, was Religion für Menschen sein kann. Barniske sagt, es sei der Glaube, der die Menschen durch die kritische Zeit trage: „Sie haben kaum etwa anderes.“ Das Aufgehobensein in der Gemeinde sei „unverzichtbar“. Als Barniske während der Reise in einer Kirche gepredigt hat, saßen 400 Leute da und hörten der zähen Satz-für-Satz-Übersetzung zu. Unvorstellbar das bei normalen Gottesdiensten hierzulande.

Ob auch Joachim Gauck einst Bruderhilfe bekam? Nicht auszuschließen!

Vielleicht ist es kein Zufall, dass zwei Ostdeutsche die Hauptakteure der Partnerhilfe sind. Weil ihnen die Erinnerung an die Kirche als verlässlicher Trost- und Rückzugsort näher ist als manchem im Westen. Aber so wollen sie sich nicht sehen. Im Gegenteil: Offen ist die Partnerhilfe für jede Art von Unterstützung, auch für Einzelspenden noch von den Kirchenfernsten. Und insgeheim träumen sie davon, sich einmal im Bundespräsidialamt mit ihrer Arbeit präsentieren zu können. War der Amtsinhaber – immerhin ein ehemaliger Ostpfarrer – vielleicht einst auch einer der zahlreichen Empfänger von westdeutscher Bruderhilfe? In der Gemeinde Rostock-Evershagen weiß man davon nichts. Aber Barniske sagt: „Keinesfalls auszuschließen.“

Mehr Infos im Internet unter www.evangelische-partnerhilfe.de/. Spendenkonto (auch für einmalige Spenden): Evangelische Partnerhilfe e.V.; Evangelische Bank

IBAN: DE80 5206 0410 0000 6198 50

BIC: GENODEF1EK1

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