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Mentoren für Einwanderer: Wegweiser in die neue Heimat - vor fünf Jahren

Vor fünf Jahren vermittelte die Arbeiterwohlfahrt Mentoren für junge Einwanderer, als Lotsen durch den Alltag. Viele von ihnen kannten die Startprobleme aus eigener Erfahrung. Was Daniela Martens darüber schrieb.

Manchmal sind es die kleinen, unscheinbaren Ideen, die das Leben und die Welt ein bisschen besser machen: „Steck dir doch immer Stift und Zettel in die Tasche. Dann kannst du alle unbekannten Wörter, die dir irgendwo unterwegs begegnen, notieren und später nachschlagen“, das hat der Italiener Giuliano Montanari dem Kurden Karker Tovi geraten. „Ich mache es auch immer so. “ In Montanaris Fall dürften das nicht viele Wörter sein. Der 25-Jährige ist fast mit seinem Studium fertig und spricht Deutsch, als sei es die Sprache seiner Eltern. Karker Tovis Zettel aber füllt sich rasch. Und oft lässt er sich die Begriffe bei einem Kaffee von Montanari erklären: „Totalitarismus“ zum Beispiel oder „Patriotismus“.

Die beiden Männer sind gleichaltrig und beide nicht in Deutschland geboren. Aber ihre Lebenswege könnten nicht unterschiedlicher sein. Und wahrscheinlich hätten sie sich nie gekreuzt, wenn es nicht das Projekt „Mentoren begleiten junge Migranten“ des Landesverbands Berlin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) gäbe. Daran nehmen sie seit Januar teil – Montanari als Mentor, Tovi als „Mentee“, wie Gundula Daerr das nennt. Sie ist die Leiterin des Projekts und hat ihr Büro in der „Fachstelle für Integration und Migration“ der AWO in Schöneberg. „Mentee – das klingt nicht besonders schön, aber es gibt kein gutes deutsches Wort dafür“, sagt Daerr. „Patenkind“ findet sie unpassend – schließlich geht es um Erwachsene. Fast 70 „Paare“ hat sie schon vermittelt. „Ich achte immer auf die Bedürfnisse und den Sprachstand.“

Alle diskutieren über Integration – hier funktioniert sie ganz einfach. Erfahrene Berliner helfen Neuberlinern, die vor kurzem eingewandert sind, sich hier einzuleben und dazuzugehören – vom gemeinsamen Behördengang bis zum Deutschlernen. Die Mentoren machen das ehrenamtlich. „Sie sind eine Art Türöffner“, sagt Gundula Daerr. Oder Lotsen.

Das Projekt wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert, doch im Herbst läuft nach drei Jahren die Förderung aus. Neue „Paare“ können dann nicht mehr vermittelt und Mentoren nicht mehr fortgebildet werden. Dabei ist das Projekt etwas Besonderes: „Es gibt zwar viele Mentorenprogramme, aber, soweit ich weiß, kein anderes, dass sich gezielt an junge Neuzuwanderer unter 27 wendet“, sagt Gundula Daerr.

Eine weitere Besonderheit: Einige der Mentoren haben selbst einen Migrationshintergrund wie Giuliano Montanari. Er war vier, als seine Eltern nach Deutschland zogen. „Ich selbst habe so viele Chancen bekommen und möchte gern etwas zurückgeben“, sagt er. „Und es ist ja ein fairer Tausch: Es ist ein gutes Gefühl, eigene Erfahrungen und ein bisschen Inspiration weiterzugeben.“ Spaß mache es auch: Die beiden gehen oft zusammen ins Museum , spielen Fußball, diskutieren im Café. „Ich wollte unbedingt einen Mentor, mit dem ich über Politik reden kann“, sagt Mentee Karker Tovi. Er will das gleiche Fach studieren wie sein Mentor: Politikwissenschaften. Bis vor kurzem war der Kurde aus dem Irak Asylbewerber, jetzt hat er einen Aufenthaltstitel und macht einen studienvorbereitenden Sprachkurs. „Ich habe so viele Wörter gelernt, seit ich Giuliano kenne. Und mein Akzent hat sich verbessert“, sagt er.

Deutschlernen – das ist auch das wichtigstes Ziel von Türkan Miermeister. Dabei hilft ihr Mentorin Luiza Lupascu. Die 20-jährige Türkan Miermeister ist erst vor zehn Monaten aus Bulgarien gekommen. Die Studentin Luiza Lupascu dagegen kam schon als Kind aus Rumänien nach Deutschland: „Ich kenne das noch von meinen Eltern, dass man als Neuankömmling vor allem das Bürokratendeutsch nicht versteht.“ Also hat sie der Jüngeren, die hier gern irgendwann eine Ausbildung zur Zollbeamtin machen möchte, geholfen, ihr bulgarisches Abiturzeugnis anerkennen zu lassen und war auch mit ihr beim Jobcenter.

Wie die beiden Männer unterhalten sich auch die Frauen über Politik. Luiza Lupascu hat Türkan Miermeister etwa erklärt, wie der Föderalismus in Deutschland funktioniert. „Sie hat mir Kreise aufgemalt, da habe ich es verstanden“, sagt Türkan Miermeister. „Und ich weiß jetzt auch, was das Ausbeordnetenhaus ist, oder wie heißt das?“ Luiza Lupascu lächelt und korrigiert: „Abgeordnetenhaus.“

Auch die Tücke der deutschen Grammatik erklärt die Studentin der Jüngeren oft. Schließlich will Türkan Miermeister bald eine wichtige Deutschprüfung bestehen: Sie macht gerade einen Integrationskurs an der Sprachenschule. Die anderen Teilnehmer sind dort alle mindestens 15 Jahre älter und fahren nach dem Unterricht gleich wieder zu ihren Familien: „Da ist es für sie schwierig, Kontakte zu knüpfen“, erklärt Luiza Lupascu, denn Türkan hat manchmal noch Schwierigkeiten, sich auf Deutsch auszudrücken. Gut also, dass sie die Studentin kennengelernt hat: Die beiden Frauen unternehmen öfter gemeinsam etwas: „Neulich hat Türkan mir den chinesischen Bazar gezeigt – ich hatte keine Ahnung, dass es so was in Berlin gibt“, sagt Luiza Lupascu und lacht. „Wir lernen beide etwas voneinander“, sagt auch Mentor Giuliano Montanari über das Programm: Sein Mentee Karker Tovi nahm ihn neulich etwa mit zu einer kurdischen Hochzeit.

Für Karker Tovi sind die Erfahrungen mit dem Mentoren-Programm noch wichtiger: „Ich hatte mich ein bisschen verloren, als ich nach Deutschland gekommen bin, jetzt habe ich mich wiedergefunden.“

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren"

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