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© dpa

Messe: Grüne Woche: Ein Gemüt wie ein Bulle

In der Tierhalle 25 stehen auch 300 Rinder – und haben zehn Tage Stress. Aber Galloways, Herefords oder Zwergzebus finden sich ab.

Was wäre die Grüne Woche ohne die Tiere. Mehr als tausend Aussteller präsentieren unterm Funkturm sich und ihre Waren, doch zu den Höhepunkten zählt jedesmal die Halle 25, die Tierhalle. Deshalb sind hunderte Tiere in die Stadt gekommen, die doch gar keinen rechten Platz für sie hat. Hell, laut, eng und schnell ist sie und nimmt vom Tier normalerweise nur, was sie verzehren kann, verteilt Milch, Käse, Fleisch und Wurst effektiv und reibungslos über Kühlregale und Frischetheken. Mit dem ganzen Tier aber, dem Lebewesen, weiß auch die Messe nicht viel anzufangen. Sie lässt die Tiere bei der Anlieferung viel zu lange warten. Sie stellt Bullen neben Bullen, was beide herausfordert. Baut zu niedrige Zäune, dass die Tiere ausbüchsen. Und sie verlangt von ihnen, sich zwecks Einzeltierverwiegung in eine schepprig-lärmende Mobilwaage zu quetschen, die für Schafe konzipiert ist, nicht für Rinder an der Tonnengrenze.

Schwer also und langsam sind die meisten zotteligen Tiere, die mit aufgerissenen Augen in Berlin angekommen sind. Und sie bringen ihr Tempo mit. Wenn der 1500 Kilogramm schwere, fast drei Meter lange hornlose Hereford-Bulle Wrabeno aus Sachsen rückwärts vom Hänger steigt, dauert das. „Lasst mal eben die Schrankwand hier durch“, johlt ein Messebauer, als Wrabeno vom Besitzer am Nasenring durch in die Halle geführt wird.

Die Rinder, die in diesem Jahr auf der Grünen Woche stehen, sind Galloways, Herefords, Highland Cattles, Salers, Welsh Blacks und Zwergzebus, sogenannte extensive Fleischrinder, das heißt, sie werden auf die Weide gestellt und fertig. Nur Heu und Gras brauchen sie zum Dickwerden. Kein Kraftfutter, keine Stallhaltung. Das robuste Tier, das sich in der Natur behauptet. Zuchtziele für alle Rassen: Anspruchslosigkeit, Leichtkalbigkeit. Am Sonntag wurden die Besten von ihnen gekürt, als Sieger der Bundesschau „Schwarz, rot, gold – robust“.

Ihre Robustheit mussten die Rinder auch den Tierärzten vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf gegenüber beweisen. Jedes Tier – Fische ausgenommen –, das zur Grünen Woche nach Berlin angereist ist, hat ein Schild am Ohr, darauf eine Nummer, zu dieser Nummer gibt es Blutuntersuchungen, Gesundheitsatteste und den Nachweis über die wirksame Impfung gegen die Blauzungenkrankheit, die sich, obschon eher in wärmeren Ländern üblich, 2007 und 2008 auch im Norden breitgemacht hatte. Das muss alles von den fünf Tierärzten kontrolliert werden, und weil hunderte Tiere gekommen sind, haben sie viel zu tun.

Zwölf Stunden und länger dauert ihr Tag regelmäßig, und so kalt wie diesmal war es auch noch nie. Auf keinen Fall soll sich während der Messe eine Krankheit ausbreiten. Was es da alles geben könnte, steht auf den DINA4-Zetteln in der Halle 25: Maul- und Klauenseuche. Brucellose. Schweinepest. Aujeszkysche Krankheit. Vesikuläre Schweinekrankheit. Geflügelpest. Newcastle Krankheit. Virus- oder Bakterienkrankheiten, die sich teils schon beim Grasen auf derselben Weide übertragen, von denen manche schnelle, tödliche Verläufe haben. Wer in die Nähe dieser Krankheiten kam, hat Passierverbot in Berlin.

„Mein Dicker“, sagt Andreas Fritsche liebevoll zu seinem Highland-Cattle-Bullen Prionnsa Ruadh von Asperde, das sei Arabisch oder so und bedeute Roter Prinz. Der Rote Prinz wird jetzt gekämmt, später noch shampooniert. Highland Cattles kommen aus Schottland, sie sind mittelgroß, zottelig mit großem dreieckigem Kopf, ausladenden Hörnern, lebendigen Augen. Und: „Das Flotzmaul ist, von der Seite gesehen, kurz“, heißt es auf der Homepage des Verbands. Aus diesem kurzen Flotzmaul flitzt immer wieder die Zunge raus und hoch in die Nüstern, links rein, rechts rein, nahezu rhythmisch.

Am Roten Prinzen gefällt Züchter Fritsche besonders dessen ruhige Freundlichkeit. Die auch bleibt, als in die Box nebenan eine Zwergzebufamilie mit einem hektischen Jungtier einzieht. Doch wie die anderen Rinder in Halle 25 atmet der Highland-Bulle schwer, und Dunst kommt aus seinen Nüstern. Es ist allen viel zu warm unter künstlichem Licht und einem Fellkleid, das dick geworden ist in den vergangenen eiskalten Wochen. Dick und klumpig auch, verkrustet mit Fladen.

Vor Halle 25 gibt es zwei Waschplätze mit vier Hochdruckwasserreinigern. Literweise Spülmittel und Glanzshampoo kippen die Züchter über Felle, reiben und schäumen, kratzen allen Dreck ab, spülen aus und kämmen durch, damit die Tiere schön und gepflegt aussehen, dem Menschen zum Gefallen. Zurück in der Halle dann wird mit großen Föndüsen das Nasse trocken gepustet.

Auch der Rote Prinz wird durchgespült. Wohlig streckt er den Rücken hoch, als der Wasserstrahl darüberdrischt und lässt sich auch die Schäumerei gefallen. Als neben ihm eine junge Welsh-Black-Kuh angebunden wird, reckt er interessiert den Hals, wird aber von Züchter Fritsche energisch in die andere Richtung geschoben.

Fritsche hat die Rinderzucht als Hobby angefangen, sich vor einem Jahr aber entschlossen, seinen bisherigen Job als Logistiker für große Speditionen aufzugeben. Zwei Pferde hat er, die Rinder, die sich mit Gewinn vermehren, verwerten oder verkaufen lassen, und das Büro hat er bisher nicht vermisst. Damit ist er eher die Ausnahme. Viele der Angereisten züchten nebenbei und deshalb auch nur in kleineren Mengen.

Zu denen und zu den wartenden Rindern aus Hessen gehört Reinhard Kreß mit breitkrempigem Hut und freundlicher Miene, Galloway-Züchter aus Leidenschaft, Architekt im Hauptberuf. Auch Frank und Falk Seifert, Garten- und Landschaftsbauer aus Beilrode, Sachsen sind dabei in Halle 25. Das Vater-Sohn-Gespann kam mit dem 1,5-Tonnen-Koloss Wrabeno, einem Zuchtbullen, der kaum um die Ecken kommt. Mit dabei ist dessen Mutter Belldonna, die beim Ausladen erst mal ausrutschte und dann vor Schreck aus der Halle stürmte. Da stand sie und wollte nicht vor und nicht zurück. Die Tiere haben ihre eigenen Gesetze. Ziegen kann man ziehen, Kühe nicht. Wenn die nicht wollen, bleiben sie stehen. Dann hatte der Seifert-Vater eine Idee. Er schickte seinen Sohn, den Sohn der Kuh zu holen. Am Nasenring führte Falk Seifert deshalb Wrabeno wieder nach draußen vor die Halle. Der kleine Mann und der riesige Bulle. Hätte er ein Mammut geführt, es hätte nicht falscher ausgesehen an diesem Ort.

Mehr als 300 Rinder, die gewöhnt sind, Platz zu haben, in ihrer Herde zu sein, stehen in Halle 25 und machen ihren Frieden mit der ungewohnten Situation, das Muhen und Brüllen lässt nach. Man hat sie hierhergebracht, weil sie die jeweils besten ihrer Herden sind. Sie haben da nicht drum gebeten, die Messe bedeutet zehn Tage lang Stress für sie, je häufiger ihnen die Besucher den Kopf tätscheln wollen, desto heftiger wird der. Und Stress verderbe das Fleisch, sagen die Züchter. Aber sie finden sich ab. Was für ein Gemüt. Manch’ hektischer Hauptstädter sollte sich davon eine Scheibe abschneiden. Aber das hören die Rinder sicher auch nicht so gerne.

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