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Tatort Kreuzberg. Am Halleschen Tor griff ein Autofahrer den Schüler mit einem Messer an.

© dpa

Messerattacke auf bolivianischen Austauschschüler: Alejandro will nur noch weg aus Berlin

Ohne erkennbaren Grund hat ein Autofahrer am 2. Januar einen Austauschschüler mit einem Messer niedergestochen, der 16-Jährige musste notoperiert werden. Jetzt fühlt sich der Bolivianer in Berlin nicht mehr sicher und will nur noch weg.

Seine Jacke, sein T-Shirt, viel Blut. Das ist das letzte Bild, an das sich Alejandro Chileno erinnerte, bevor er die Augen öffnete und auf der Intensivsation des Urban-Klinikums in Kreuzberg aufwachte.

Er wusste, dass ihm etwas zugestoßen war – was, wusste er jedoch nicht genau. „Das Bild mit dem Blut konnte ich nicht zuordnen“, erzählt er, kurz bevor er am Dienstag das Krankenhaus mit seiner Mutter Jiancarla Terrazas verlässt.

Am 2. Januar war der 16-jährige Austauschschüler aus Bolivien am Halleschen Tor von einem Unbekannten niedergestochen worden, als er um 0.15 gerade die Straße überquerte. Der Täter, der in Begleitung von drei Frauen – eine mit blond gelockten langen Haaren, zwei mit Kopftüchern – gewesen sein soll, ist immer noch flüchtig. Neun Hinweise sind bislang bei der Mordkommission eingegangen – aber bislang nichts, was auf die Spur des Mannes führt, hieß es.

Erst später erinnerte sich Alejandro Chileno auch an das wilde Hupen, an die Straße und an eine Ampel. Den Rest habe er vergessen, erzählt er. Seine Freunde haben ihm erzählt, was passierte.

In Bolivien besucht er die Deutsche Schule und gehört zu einer größeren Gruppe von Austauschschülern, die an dem jährlich angebotenen Austausch zwischen Santa Cruz und Deutschland teilgenommen hatte. Zu Hause hat er gute Noten, deswegen genehmigten ihm seine Lehrer, dem Unterricht ganze vier Monate fernzubleiben und in Deutschland Erfahrungen zu sammeln.

Silvester wollten die Schüler in Berlin verbringen

Er kam zu einer deutschen Familie in München. Ende Januar soll die Gruppe wieder zurück nach Bolivien, aber zuerst wollten die Austauschschüler mehr von Deutschland sehen. Sie erfuhren von einer riesigen Silvesterfeier in Berlin, sie hörten, es sei berühmt in Europa, so bekannt wie die Neujahrsfeier in New York. Alejandro kam mit ungefähr 20 Mitschülern nach Berlin. Sie wohnten in einem Hostel in Kreuzberg und waren noch in Partystimmung, als Alejandro und vier weitere Jungs am späten Abend des 2. Januars losliefen, um sich noch einen Döner zu kaufen.

Alejandro Chilenomit seiner Mutter Jiancarla Terrazas.
Alejandro Chilenomit seiner Mutter Jiancarla Terrazas.

© Finkel

„Keiner merkte, dass der Mann ein Messer in der Hand hatte“

Seine Freunde hatten die Straße des Halleschen Ufers schon fast überquert, als die Ampel von grün auf rot sprang. Alejandro war der letzte und stand einem Autofahrer, der gerade losfahren wollte, im Weg. Der Mann im Auto hupte laut; Alejandro erschrak, es kam zu einem kurzen Wortgefecht, der Mann stieg aus, und verpasste dem Jungen einen Schlag in die linke Seite des Oberkörpers, setzte sich wieder ins Auto – und fuhr anschließend davon.

„Keiner merkte, dass der Mann ein Messer in der Hand hatte“, erzählt Jiancarla, die Mutter. Selbst er, Alejandro, merkte nichts von dem Stich. „Mir ist schlecht“, sagte Alejandro schließlich zu seinen Klassenkameraden. Seine Jacke fühlte sich nass an. Er öffnete den Reißverschluss und sah das Blut. Die Jungs riefen um Hilfe. Ein Passant eilte zur Hilfe, holte am Dönerladen Servietten und presste fest auf die Wunde, bis der Krankenwagen kam.

Später las der Helfer die Geschichte in der Zeitung und besuchte Alejandro im Krankenhaus. Laut der Mutter ist er ein Pizzalieferant, der gerade eine Zigarette auf der Straße rauchte, als er sah, dass der Junge stark blutete. Alejandro schwebte in Lebensgefahr und musste notoperiert werden. Das Messer hatte die Lunge und eine Arterie verletzt.

„Dein Sohn lebt noch, und wir versuchen ihn so zu halten“, sagte eine Stimme am Telefon in gebrochenem Spanisch, als Jiancarla Terrazas aus Bolivien im Krankenhaus anrief. Erst dann wurde ihr klar, wie ernst die Lage war. Sie reiste auf dem schnellsten Weg nach Deutschland.

Alejandro möchte Berlin verlassen, so schnell wie möglich

Mittlerweile geht es Alejandro, der fließend Deutsch spricht, wieder gut. Er hofft jetzt auf eine baldige Flugerlaubnis. Ein Trip nach Prag, Paris, Rom und London steht der bolivianischen Schulklasse noch bevor und Alejandro möchte unbedingt mit. Außerdem muss er bald wieder zurück nach Hause. Er will auf keinen Fall den Unterrichtsbeginn verpassen. Er träumt von einem Studium in Deutschland und dafür braucht er gute Noten.

Mutter Jiancarla möchte so schnell wie möglich weg aus Berlin. Sie fürchtet, der Mann könnte sich an ihrem Sohn rächen wollen. „Ich habe den Interviews lediglich deshalb zugestimmt, weil ich will, dass der Täter gefasst wird“, sagt sie.

Alejandro möchte Berlin verlassen, so schnell wie möglich. Er sagt, er habe keine Angst, aber in Berlin fühle er sich einfach nicht mehr wohl. Für eines sind die beiden aber trotzdem dankbar: für die schnelle Hilfe des Passanten, der Sanitäter und Ärzte.

Wenn der Mann ihm nicht geholfen hätte und der Krankenwagen nicht sofort zur Stelle gewesen wäre, wäre der Junge jetzt nicht mehr am Leben.

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