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Berlin: Michael Etter (Geb. 1949)

Scheppernde Schuhe, schräge Haltung, vom Vater verlassen, Linkshänder.

So schräg wie sein Humor war auch Michael Etters Körperhaltung: Er wurde mit einem viel zu langen Bein geboren. Die Operation, die ihn zurechtrücken sollte, verschlimmerte die Sache nur noch. Sobald er laufen konnte, bekam er orthopädisches Schuhwerk mit Metallsohle verpasst, so dass sein Kommen und Gehen von lautem Geschepper geprägt war. Scheppernde Schuhe, schräge Haltung, vom Vater verlassen und noch dazu Linkshänder – für die Lehrer seiner Zeit war der Fall klar: So einer gehörte auf die Hauptschule.

Michael Etter aber hatte so viele Stunden mit der Übung zugebracht, das Gleichgewicht zu halten, dass solche Urteile ihn nicht umschmeißen konnten. Er lachte die Pädagogen einfach aus, und noch während er das Abitur machte, studierte der begabte Zeichner und Sprücheklopfer. Er wurde Werbekaufmann.

Als er damit fertig war, packte er seine Koffer und zog weg aus München, hinein in die Stadt und in den Bezirk, in dem sich viele westdeutsche Nicht-Dazu-Gehörer trafen: Berlin-Kreuzberg. Er mietete mit einem Freund eine billige Ladenwohnung, stapelte ein paar Bierkästen aufeinander, legte ein Brett darüber, fertig war das Büro. Über die Eingangstür schraubte er das Schild: „Etter und Partner – die letzte Agentur vor der Mauer“. Die Mauer stand tatsächlich nur ein paar Meter weit entfernt.

Die meisten Kunden hätten ihm nicht gepasst, berichtete er rückblickend. Er, der große Mann mit dem gutmütigen Gesicht, der beschlagenen Brille und den grob gestrickten Wollpullovern, bevorzugte Leute, die waren wie er: ein bisschen schräg.

Also hängte er das Schild wieder ab und gründete 1990 mit sieben Postkarten seines Freundes, dem Satiriker und Zeichner Michael Sowa, seinen Verlag „Inkognito – Gesellschaft für faustdicke Überraschungen“. Dass Leute mit Humor bei ihm gut aufgehoben waren, sprach sich schnell herum.

Er präsentierte die Zeichner und Maler auf den Buchmessen in Leipzig, Frankfurt und Bologna, vertrieb Postkarten, Buchstützen und Lesezeichen mit ihren Motiven und wurde Geschäftsführer des Illustratoren-Archivs „Filu“.

Bis nach Japan und Australien erstreckte sich seine Kundschaft. An seinem uneitlen Kleidungsstil und seiner Vorliebe, die Geschäfte bei Weißwurst und Bier abzuschließen, änderte das nichts. Mit dem Angebot, das er vertrat, durfte er schräg sein, ohne dafür schräg angeguckt zu werden. Selbst seine japanischen Kunden verziehen es ihm, wenn er ihnen in seinem übersprudelnden Eifer zehn Minuten nach dem Kennenlernen kräftig auf die Schulter schlug.

Eine einzige Sache nahm Michael Etter sehr ernst: den Humor. Kurz vor einer Buchmesse, wenn alle Mitarbeiter auf 180 waren, war er auf 200. Er schimpfte und beleidigte alle, Fehler durfte sich niemand leisten, Hauptsache, die Künstler fühlten sich gut vertreten und die Fachwelt gut beraten, auf dass man ihm den Platz einräumte, der ihm gebührte, dem Humor, dem lebensrettenden.

War alles gut überstanden, entschuldigte er sich rundherum, ehrliches Bedauern in den Augen, zeigte sich spendabel und großmütig, und auch die empfindlichsten Gemüter konnten ihm nicht lange böse sein.

Daheim fanden ihn die Freundin oder die Tochter mit zerfurchter Stirn über Büchern brüten mit Titeln wie „Wie spare ich Geld?“ Oder: „Wie halte ich Ordnung?“ All die schlauen Ratgeber konnten ihn nicht davon abhalten, von wirklich jedem seiner häufigen Ikea-Besuche mit einem riesigen Bündel unnützer Kleiderbügel zurückzukehren, von denen er eine ganze Armee hinterlässt. Anne Jelena Schulte

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