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Michael Müller war zu Gast beim Tagesspiegel - und verriet viel über seine Pläne und Ideen.

© Mike Wolff

Michael Müller zu Gast beim Tagesspiegel (I): "Ich kann nicht alles mit der Bimmelbahn rumfahren"

Was hält der neue Senatschef eigentlich von einer weiteren Verlängerung der A 100? Als Gast beim Tagesspiegel-Forum verriet er es - und äußerte sich außerdem zur "Katastrophe" am BER und der Wirtschafts- und Arbeitspolitik. Teil eins unseres Rückblicks auf einen unterhaltsamen und aufschlussreichen Abend.

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Müllers Nachfolger im Amt des Stadtentwicklungssenators hat gleich zum Start einen ganz dicken Pflock eingeschlagen: Die aktuelle Verlängerung der A 100 nach Treptow ergebe erst dann wirklich Sinn, wenn die Stadtautobahn zum Ring geschlossen werde, sagte Müllers Parteifreund Andreas Geisel. Jetzt gehörte diese Frage zu den wenigen, die der Regierende nicht klar beantwortete: „Wichtig sind erstmal der jetzige und der nächste 17. Bauabschnitt.“ Er stellte das Vorhaben als Jahrhundertprojekt dar, dessen Finanzierung ohnehin in den Händen des Bundes liegt. Allerdings sei es auch in der Berliner SPD „nachvollziehbar umstritten“. Autobahnen seien nicht schön, aber die Großstadt brauche leistungsfähige Straßen: „Ich kann nicht alles mit der Bimmelbahn rumfahren.“

Damit war die Brücke gebaut zur BVG. Investitionen in den teilweise bald 40 Jahre alten Fuhrpark des Landesunternehmens seien dringlicher als die Tilgung der Altschulden, sagte Müller. Investitionen in neue U-Bahn-Waggons hatte bereits der neue Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) angeregt.

Wie die Altschulden der BVG abgetragen werden können, müsse auf Landesebene beraten werden, sagte Müller. Eine teilweise Übernahme halte er ebenso für möglich wie eine schrittweise Tilgung durch die BVG – wobei diese Jahrzehnte dauern dürfte.

Investitionsstau. Das Chaos auf den Straßen liegt nicht nur an Schlaglöchern, sondern oft auch an Defiziten in der Verwaltung. Müller stellt Besserung in Aussicht.
Investitionsstau. Das Chaos auf den Straßen liegt nicht nur an Schlaglöchern, sondern oft auch an Defiziten in der Verwaltung. Müller stellt Besserung in Aussicht.

© picture alliance / dpa

Dass vielen Berlinern das tägliche Chaos auf den Straßen näher ist als der milliardenteure, vage Ausbau der Stadtautobahn, ist Müller deutlich bewusst. Hinter den Zuständen bei der als peinlichste Behörde der Stadt gescholtenen Verkehrslenkung Berlin (VLB) stecke „ein ganz, ganz vielschichtiges Problem“: Zum einen sei trotz vorhandenen Budgets nicht genug qualifiziertes Personal zu finden, zum anderen sei das Arbeitsaufkommen – etwa für Straßensperrungen und Umleitungen – angesichts tausender Demonstrationen und hunderter Filmdrehs pro Jahr gigantisch. Die Arbeitsbelastung spiegele sich im Krankenstand von 25 Prozent wider. „Mittelfristig wird es besser, aber nicht morgen“, versprach der Regierende. Auf der Habenseite kann er bereits das „Aufgrabeverbot“ verbuchen, das er im vergangenen Jahr als Stadtentwicklungssenator erließ – und das ihm beim Tagesspiegel- Publikum spontanen Applaus einbrachte. Es regelt, dass die Leitungsfirmen wie Vattenfall, Gasag und Telekom nur in konzertierter Aktion arbeiten dürfen. Eine einmal aufgegrabene Straße dürfe erst nach fünf Jahren wieder angetastet werden.

Eine Katastrophe mit guten Aussichten: der BER

Noch-Flughafenchef. Hartmut Mehdorn hat seinen Rückzug angekündigt.
Noch-Flughafenchef. Hartmut Mehdorn hat seinen Rückzug angekündigt.

© picture alliance / dpa

An der Nachfolgedebatte nach dem angekündigten Rücktritt von Hartmut Mehdorn als Flughafenchef hat Michael Müller vor allem eines geärgert, wie er sagt: „Dass da sofort die nächsten Heilsbringer verkündet werden, die wieder alles gut oder sogar besser können.“ Ihm wäre es lieber, dass man die Situation erst mal in Ruhe bewertet und guckt: Was ist angebracht und angemessen? „Ich hatte bei der Aufsichtsratssitzung am vergangenen Freitag den Eindruck, dass die dort Verantwortlichen – und das ist ja nicht nur Herr Mehdorn, sondern das sind auch andere Köpfe in der zweiten und dritten Reihe – eine ganz seriöse und gute Arbeit in den vergangenen Jahren gemacht haben.“

Müller sagt, er wolle die Situation in Schönefeld nicht schönreden – „das ist eine Katastrophe“. Aber vieles davon wurde aus seiner Sicht in letzter Zeit Ordnung gebracht und abgearbeitet. Daher solle man jetzt prüfen, ob diejenigen, die das erreicht haben und „eine greifbare Perspektive für 2017“ bieten, nicht das auch zu Ende führen sollten. „Warum muss nun wieder jemand von außen kommen, der erstmal alles auf null stellt?“ Bevor jetzt die Suche nach einem neuen Spitzenmanager weitere Zeit kostet, sei es ihm lieber, „mit der zweiten Reihe die Sache ordentlich zu Ende zu führen“.

Den Rückzug von Mehdorn bedauert Müller, auch wenn es immer wieder berechtigte Kritik an dessen Management gegeben habe. „Aber Herr Mehdorn hat eben als Kopf an der Spitze dem Ganzen auch eine vernünftige Perspektive gegeben.“ Dass er ausgerechnet in dieser Phase gehe, „das bedauere ich durchaus“. Es sei zu einfach, alles an einer Person festzumachen: „Es sind 15 Leute im Aufsichtsrat, und nicht nur Politiker – was haben eigentlich die 14 anderen gemacht?“

Für Dietmar Woidkes Weigerung, als Brandenburger Ministerpräsident in den BER-Aufsichtsrat zu gehen, hat Müller kein Verständnis: Er finde, es sei auch ein politisches Projekt. „Wir verbauen fünf Milliarden öffentliches Geld, der Auftraggeber ist die öffentliche Hand.“ Da könne man als Politik nicht sagen: „Wir haben's probiert, es hat nicht geklappt, jetzt sollen’s andere machen.“ Das sei nicht sein Weg. „Da muss Politik auch in der Pflicht bleiben.“

Den Aufsichtsratsvorsitz will Müller trotz dieses Selbstverständnisses allerdings nicht übernehmen. „Es gibt da nicht zuletzt ein ganz faktisches Problem“, sagt er: „So ein Projekt mit einer neuen Unternehmensleitung zu führen, das ist eigentlich eine Vollzeit-Aufgabe.“ Und ein Ministerpräsident habe nun mal nur begrenzt Zeit. „Wir arbeiten alle 14 oder 16 Stunden, aber mehr geht eben nicht.“ Deshalb spiele ein externer Aufsichtsratsvorsitzender ja durchaus eine Rolle in der Debatte um die Neuordnung.

Was der neue Senatschef zu den Themen Wirtschaft und Arbeit zu sagen hatte

Gute Arbeit, gutes Geld. Niedriglohn im Dienstleistungsgewerbe ist für Müller keine Perspektive. Er setzt auf qualifizierte Jobs im Bereich der neuen Technologien.
Gute Arbeit, gutes Geld. Niedriglohn im Dienstleistungsgewerbe ist für Müller keine Perspektive. Er setzt auf qualifizierte Jobs im Bereich der neuen Technologien.

© picture alliance / dpa

Berlin nimmt vor allem in den Bereichen Energie, Life Sciences, Informations- und Kommunikationstechnologie, Optik, Mobilität und Mikrosystemtechnik sowie Clean Technologies eine führende Position in Deutschland ein. Michael Müller sieht die „Wachstumsfelder an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Darin sind wir sehr stark“. Der Regierende Bürgermeister hob in diesem Zusammenhang „ein unglaubliches Potenzial und auch Flächen, die wir für Investitionen und Wirtschaft anbieten können“ hervor.

Im Gegensatz zu anderen Kommunen könne Berlin genau dieses Potenzial „mitten in der Stadt“ anbieten. Müller setzt auf die Fortführung der Wirtschaftspolitik. Die Strategie ist auf sogenannte Zukunftsorte gerichtet, also Standorte mit Flächenpotenzial, an denen vor Ort Netzwerkstrukturen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft geschaffen werden können. „Wir haben eine neue Form der Industrieproduktion.“ Allein in Adlershof würden über 10 000 Menschen in 1000 Unternehmen arbeiten. Aber die klassische Industrie „werden wir im großen Maßstab nicht mehr nach Berlin holen“. Auch im Niedriglohnsektor sieht Müller keine Chance für Berlin, und der Dienstleistungssektor reiche auch nicht aus. „8,50 Euro Mindestlohn sind schön, aber es deckt eben auch nur das mindeste ab.“ Müller setzt auf Technologie. Das hat auch noch einen weiteren Vorteil: „Neueste Technologien können in Berlin zum Beispiel in den eigenen Landesbetrieben angewendet werden“.

Die Arbeitslosenquote in Berlin ist wegen konjunktureller Aufschwünge auf 10,4 Prozent gesunken. „Die Arbeitsmarktpolitik ist immer nur eine Krücke und zweitbester Weg“, sagte Müller. Der „beste Weg“ sei „gute Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt“. Berlin setzt seit Rot-Schwarz 2011 stärker auf den ersten Arbeitsmarkt als auf öffentliche Beschäftigungsprogramme.

Lesen Sie hier Teil 2 und Teil 3 unseres Rückblicks.

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