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Migranten in Berlin: "Dies ist kein Integrationsprojekt!"

Ein Modellprojekt im Wedding hilft Migranten mit Problemen, die richtige Anlaufstelle zu finden. "Die Brücke" - so der Name des Projekts - schlagen Eingewanderte, die schon seit Jahren hier leben.

Alle Anwesenden sind sehr stolz. Die Deutschstämmigen blicken ernst und zufrieden drein, bei den Zuwanderern herrscht ausgesprochene Fröhlichkeit: es wird gelacht und gescherzt. Mentalitäten prallen aufeinander. Während der Bürgermeister des Bezirks Mitte, Joachim Zeller, mit trockenem Ton und unverändert seriösem Gesichtsausdruck das Projekt vorstellt, dreht Fahri Baykara nervös einen Kugelschreiber in den Händen. Er leitet das Musterprojekt, das vom Europäischen Integrationszentrum Berlin angeregt wurde, und dazu dient, "Integration anzubahnen". Diese Formulierung ist schon geeignet, grundsätzliches Misstrauen zu wecken.

Doch das Prinzip leuchtet ein: Viele Einwanderer bzw. Deutsche mit Migrationshintergrund (früher: "Ausländer") wissen überhaupt nicht, welche Dienstleistungen der Staat für sie vorgesehen hat. Was leisten Bürgerämter? Wo finde ich Hilfe, wenn ich chronisch krank bin? Wen frage ich um Rat bei familiären Problemen? Antworten auf diese Art von Fragen geben in Wedding seit November 2005 eine Gruppe von acht "Lotsen". Sie sollen die "Brücke" schlagen zwischen Behörden und denen, die ihrer bedürfen. Sie sprechen Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Serbokroatisch, Französisch, Englisch, und natürlich Deutsch. Alle sind zugewandert, Levent Sümer beispielsweise vor 35 Jahren aus der Türkei, Gérard Lutete vor 11 Jahren aus der demokratischen Republik Kongo. Er spricht neben Französisch und Lingala - seiner kongolesischen Muttersprache - noch Englisch, Spanisch und Serbokroatisch.

Das Prinzip "Weitersagen"

Oft ist Hilfe gefragt, zum Beispiel bei der vierköpfigen Familie, deren Vermieter nicht erreichbar war, jedoch die Wohnung verwahrlosen ließ und keinerlei Reparaturen mehr vornahm. Als die Probleme überhand nahmen, wandte sich die Familie an das Projekt "Die Brücke". Weil die Familie zwei Kinder hatte, reagierte das Jugendamt schnell. Eine weitere positive Seite hat die Arbeit der Lotsen: Sie protokollieren nicht nur Probleme und Lösungsansätze, sondern bekommen auch Feedback zum Service der Ämter. So wird penibel notiert, welche Sachbearbeiter kooperativ sind oder welche Stellen durch Unfreundlichkeit auffallen. Die Lotsen indes schöpfen Kraft aus ihrer Aufgabe. Schließlich haben sie selbst ihre Probleme zumeist allein meistern müssen und sind froh, ihren Erfahrungsschatz nun mitzuteilen. Gérard Lutete (31) findet die Aufgabe sehr gut: "Die Arbeit macht großen Spaß. Ich helfe gern. Schade finde ich nur, dass ich meine Sprachen nicht so häufig anwenden kann. Ich spreche sechs Sprachen, die ich gerne öfter sprechen würde. Einer meiner Lotsenkollegen bringt mir gerade noch Arabisch bei."

"Die Brücke" wird finanziert vom Quartiersmanagement in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt, dem Jobcenter und den Vereinen VIA Regionalverband Berlin-Brandenburg e.V. und FITA e.V. - und wird gerade durch diese breite Kooperation zu einem vielversprechenden Konzept. Inwiefern es seinem Anspruch gerecht werden kann, wird Prof. Jürgen Nowak von der Alice Salomon Fachhochschule überprüfen. Bei positiver Beurteilung könnte sich der Ansatz als richtungsweisend für die Integrationspolitik herausstellen. Obwohl Projektleiter Baykara betont, dass "die Brücke" kein Integrationsprojekt sei - bei genauerem Hinsehen wird offenbar, was die "Anbahnung von Integration" denn bedeuten könnte. Experten fordern interkulturelle Öffnung; "die Brücke" kann nicht integrieren oder Probleme abnehmen, aber Hilfe zur Selbsthilfe gewähren - der wahrscheinlich sinnvollste Ansatz überhaupt.

Zum Ende der Pressekonferenz für das Projekt "Die Brücke" ist Bürgermeister Zeller schon längst beim nächsten Termin, und Projektleiter Baykara ist entspannt und erleichtert. Die Lotsen strahlen unvermindert, froh darüber, gebraucht zu werden. (Von Sarah Burmester)

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