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Die Gemeindevorsitzende Lala Süsskind.

© Kai-Uwe Heinrich

Millionendefizit: Jüdische Gemeinde stand vor Insolvenz - vor fünf Jahren

Vor fünf Jahren wollte der Vorstand der jüdischen Gemeinde Berlin die Notbremse ziehen und die Renten drastisch kürzen. Wir müssen den Bestand der 300 Jahre alten Institution sichern, sagte die Vorsitzende Lala Süsskind. Was Claudia Keller darüber schrieb.

Die Jüdische Gemeinde Berlin steuert geradewegs auf die Insolvenz zu. „Wenn wir jetzt nichts machen, sind wir in zwei Jahren zahlungsunfähig“, sagte die Gemeindevorsitzende Lala Süsskind. Bei einem Haushalt von jährlich 25 Millionen Euro erwirtschafte die Gemeinde jährlich ein Defizit von zwei Millionen Euro. Das aufgehäufte Defizit beträgt nach Auskunft von Finanzdezernent Jochen Palenker bereits 15 Millionen Euro.

Die Gemeindeleitung, die seit Januar 2008 im Amt ist, hat alle Bereiche auf Sparmaßnahmen hin durchforstet, das Geld für Schulen und Schulbusse erhöht und einige Mitarbeiter entlassen.

Doch das reicht nicht, wie jetzt ein Gutachten der Beratungsfirma Mercer ergeben hat. Die größte finanzielle Belastung sind überhöhte Renten, die für die Mitarbeiter gezahlt werden und in Zukunft gezahlt werden müssen. Die Altersvorsorge der Gemeinde-Mitarbeiter orientiert sich an den Zahlungen für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Doch während im öffentlichen Dienst bereits vor zehn Jahren die Renten gekürzt wurden, blieben die Betriebsrenten für die Gemeindearbeiter unangetastet. 2005 hatte die Senatskanzlei des Landes Berlin festgestellt, dass die Jüdische Gemeinde ihren Mitarbeitern betriebliche Renten zahlt und Zusagen gemacht hat, die über der im Staatsvertrag festgelegten Summe liegen. Das veranlasste die damalige Gemeindeführung aber nicht dazu, etwas zu verändern.

Laut Finanzdezernent Palenker hat dies dazu geführt, dass die Ausgaben für die Altersvorsorge im laufenden Jahr 750 000 Euro betragen – mehr als die Hälfte dessen, was die 11 000 Mitglieder an Gemeindesteuer zahlen. Die Steuereinnahmen werden vermutlich weiter sinken – ähnlich wie die Kirchensteuereinnahmen. Die Ausgaben für die Renten werden steigen. Laut Prognosen der Unternehmensberatung wird die Rentenlast in zehn Jahren bei drei Millionen Euro liegen, in 20 Jahren bei fünf Millionen. Zusätzlich fordert der Senat Summen in „Millionenhöhe“ zurück, weil das Land wegen der überhöhten Renten zu viel Geld an die Gemeinde gezahlt hat.

Um zahlungsfähig zu bleiben, könne man zwar ein Grundstück nach dem anderen verkaufen, sagt Palenker. Ein Zukunftskonzept sei das nicht. Deshalb will die Gemeindeführung nun die „Notbremse“ ziehen und die Altersvorsorge drastisch kürzen – auf das Niveau im öffentlichen Dienst. Am Mittwochabend nach Redaktionsschluss sollte das Gemeindeparlament über einen entsprechenden Antrag abstimmen.

Die Kürzungen betreffen etwa 300 heutige Mitarbeiter der Gemeinde. Ihnen soll die betriebliche Zusatzrente gekürzt werden, zum Teil um die Hälfte. Für neu eingestellte Mitarbeiter gibt es überhaupt keine Betriebsrente mehr. Besonders betroffen seien ältere Mitarbeiter mit niedrigen Gehältern, die innerhalb der vergangenen 20 Jahre aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind und in ihrem Leben nicht viel in die Rentenversicherung einzahlen werden. Wenn ihnen nun auch die Betriebsrente gekürzt wird, „können schnell Härtefälle entstehen“, sagt Finanzdezernent Palenker.

Mit einer Härtefallregelung wolle man diese abfedern. „Wir haben jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt“, sagen Palenker und Süsskind. In der Vergangenheit seien zu viele Mitarbeiter eingestellt worden, weil man besonders die Zuwanderer habe unterstützen wollen – was für eine Religionsgemeinschaft ein nachvollziehbares Anliegen sei.

Palenker und Süsskind gehen davon aus, dass eine „Welle von Klagen“ auf die Gemeinde zukommen werde. Eine Alternative zu den Einschnitten sehen sie nicht. „Wir müssen den Bestand der mehr als 300 Jahre alten und nach der Shoah wiederaufgebauten Gemeinde sichern und sie in einem zukunftsfähigen Zustand an unsere Kinder weitergeben“, sagt Lala Süsskind. In einem Jahr wird die Gemeindeleitung neu gewählt, mit den Einschnitten mache sie sich keine Freunde. Aber das sei nicht so wichtig wie das Überleben der Gemeinde.

Sollte das Gemeindeparlament den Kürzungen nicht zustimmen, werde man sich vom Rechnungshof bestätigen lassen, dass die Überschuldung drohe. „Wir haften als Vorstand, wir werden auf jeden Fall handeln“, sagte Palenker.

Meldet ein Unternehmen Insolvenz an, droht die Zwangsverwaltung. Eine Religionsgemeinschaft kann verfassungsrechtlich nicht zwangsverwaltet werden. Aber dass das Land zusieht, wie sich die Jüdische Gemeinde abschafft, können sich Palenker und Süsskind auch nicht vorstellen. Mit irgendeiner Art von Zwangsverwaltung rechne man durchaus. Notfalls müssten Schulen und Kitas geschlossen und das Angebot auf ein paar Gottesdienste beschränkt werden.

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren"

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