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Berlin: Millionenschwere Technik hilft bei der schwierigen Entsorgung von Ab- und Regenwasser

Der Weg in den Untergrund ist nicht weit. Genau vier Steigeisen klettert Heinz Meyer in die Tiefe, bevor er in die Knie geht.

Der Weg in den Untergrund ist nicht weit. Genau vier Steigeisen klettert Heinz Meyer in die Tiefe, bevor er in die Knie geht. Geduckt schiebt er die kleine Video-Kamera in die Abwasserleitung, deren Öffnung sich vor ihm auftut. Schräg über ihm, im Kanalfernsehwagen, schaut Rohrnetzprüfer Bernd Wieprecht auf den Computerschirm, der Bilder aus dem Inneren der Kanalisation liefert. Eine Ratte läßt sich kurz filmen, ansonsten scheint im Schacht alles in Ordnung zu sein. Die millionenschwere Technik hilft den Berliner Wasserbetrieben (BWB), für den reibungslosen Ablauf unter Tage zu sorgen: So schnell wie möglich sollen die Abwasser aus Abflüssen und Toiletten zum nächstgelegenen Pumpwerk fliessen. Gleiches gilt für das Regenwasser, das durch die Gullis kommt.

Bis 1786 kippten die Berliner ihren flüssigen Dreck von Haus und Hof einfach in die breiten Rinnsteine vor ihrer Tür. Schmutzige, braune Seen standen auf den Straßen der Großstadt. Der unappetitliche Anblick paßte schlecht zum Image einer repräsentativen Großstadt, außerdem lauerte Seuchen-Gefahr. So wurde der Stettiner James Hobrecht beauftragt, eine moderne Lösung zu finden.

Der Baurat führte das Kanalisationsnetz ein. Dazu teilte er den Untergrund der Stadt in zwölf Kreise - sogenannte Radialsysteme. Das Abwasser kann hier aufgrund von natürlichem Gefälle zu der nächstgelegenen Pumpstation abfließen. Von dort wurde es auf sogenannte Rieselfelder in der Mark Brandenburg weitergeleitet, wo es unter freiem Himmel einfach versickerte.

Heute hat man erheblich mehr Probleme mit der Entsorgung: Zum einen werden viel mehr Chemikalien in die Kanalisation gekippt. Das Karlsruher Fraunhofer Institut warnt besonders vor steigenden Kupfer- und Zinkwerten in Ab- und Regenwasser, da beispielsweise immer mehr Hausdächer aus diesen Materialien gemacht sind. Außerdem schwimmen Cadmium und Quecksilber, Weichmacher von Kunststoffen sowie hohe Nährstoffkonzentrationen in die Klärwerke der Stadt. Dieses gefährliche Gemisch hat das Fraunhofer Institut jetzt unter die Lupe genommen und eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen zur Diskussion gestellt. In einer Studie wird unter anderem angeregt, die Abwassergebühren um das Dreifache zu erhöhen. Ein Vorschlag, der bei der BWB heftige Proteste auslösen dürfte. Die Sparsamkeit im Umgang mit dem kühlen Naß bereitet dem Unternehmen schon jetzt einige Probleme. Im letzten Jahr ging der Umsatz des Unternehmens bei seinen Entwässerungsdiensten um 139 Mio. DM auf 1,1 Mrd. DM gegenüber dem Vorjahr zurück.

Für Heinz Meyer und seine 438 BWB-Kollegen aus der Abteilung Kanalbetrieb bedeutet das, öfter auf dem Trockenen zu sitzen: Aufgrund der Wassersparmaßnahmen der Berliner fließt in der Kanalisation die braune Brühe wesentlich langsamer: Sie steht und stinkt. Manchmal hilft dann nur noch eine ordentliche Portion Wasser oder der direkte Handgriff. So zwängt sich Heinz Meyer ab einem Rohrdurchmesser von 1,20 Meter in die Kanalisation, um Verstopfungen per Hand zu beseitigen. Dank der Handschuhe entstehe dabei nicht viel mehr als ein "kühles Gefühl", ekeln tue er sich schon lange nicht mehr, behauptet der gelernte Entsorger. Schlimm sei nur, wenn die Leute Rasierklingen, Einmalspritzen und andere scharfe Gegenstände in die Toiletten werfen - die Kanal-Experten schneiden sich daran die Hände auf.

In der Berliner Kanalisation hat sich auch Kalte-Kriegs-Geschichte abgespielt: 1961 schlugen sich etwa 250 DDR-Bürger auf den unterirdischen Wegen nach West-Berlin durch. Auch Spitzel, Spione und Bankräuber hasteten durch die dunklen Gänge. Kaufhauserpresser "Dagobert" nutzte ebenfalls das verzweigte System für seine Katz-und-Maus-Spiele mit der Polizei.

Mittlerweile ist das über 8000 Kilometer lange Netz auch für andere Zwecke entdeckt worden: Die BerliKomm Telekommunikationsgesellschaft, eine Tochter der Berliner Wasserbetriebe, installiert per Roboter ein Netz zur Datenübertragung in den engen Rohren. Knapp 50 Kilometer Glasfaserkabel sind bereits verlegt. Bald will man sich mit attraktiven Telefon- und Multimedia-Angeboten den Privatkunden öffnen, kündigt Geschäftsführer Ralf Freimund an. So gesehen hat das Berliner Abwassernetz den Anschluß an das World-Wide-Net beinahe geschafft.

Julia Meichsner

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