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Berlin: „Mir fehlt bei Ihnen der Blick für den Horizont“

PDS-Parteichef Klaus Lederer und WASG-Vorstand Frank Puskarev über Kooperationen bei der Wahl und Fusionen ihrer Parteien. Ein Streitgespräch

In sieben öffentlichen Foren wollen ab November Berlins Linkspartei/PDS und die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) ausloten, ob sie nächstes Jahr zur Abgeordnetenhauswahl gemeinsam antreten. Die Streitpunkte reichen von Hartz IV bis zur Privatisierung landeseigener Betriebe, vom Bankenskandal bis zum öffentlichen Dienst. Außerdem haben beide ein grundlegend anderes Politikverständnis, wie Lars von Törne im Streitgespräch mit Spitzenvertretern der Parteien erfuhr.

Herr Lederer, hat sich die Linkspartei/PDS als Regierungspartei in Berlin von ihren Idealen so weit entfernt, dass sie von der WASG daran erinnert werden muss?

Lederer: Man kann über Missstände diskutieren, und da liegen wir wahrscheinlich in der Analyse nicht weit auseinander. Aber man kann in der Praxis nur das durchsetzen, was realistisch machbar ist. Wir haben, anders als die WASG, einen Lernprozess hinter uns, was die Spielräume in der Landespolitik sind. Wir haben gelernt, wie die Mechanismen von Regierungspolitik in einer kapitalistischen Gesellschaft funktionieren.

Oberstes Politikziel von Rot-Rot ist die Haushaltskonsolidierung. Herr Puskarev, wie lässt sich die Misere Berlins besser lösen, als es der Senat bisher vermochte?

Puskarev: Zumindest nicht über eine strikte Haushaltskonsolidierung. Damit dreht man die Abwärtsspirale weiter nach unten. Wenn man die Kaufkraft weiter reduziert, weil man den Leuten das Geld wegnimmt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn man immer weniger Steuern einnimmt und der Haushalt immer kleiner wird.

Also soll sich Berlin weiter verschulden, den Bürgern mehr Geld geben, damit die dann durch ihren Konsum die Wirtschaft und die Staatskassen langsam wieder auffüllen?

Puskarev: Berlin soll sich nicht wild neu verschulden. Sondern öffentliche Investitionen fördern, produktive Investitionen in zukunftsträchtigen Bereichen wie Ökologie, weil man damit die Chance hat, dass sich das refinanziert.

Klingt das auch in den Ohren der Linkspartei vernünftig, Herr Lederer?

Lederer: Theoretisch ja. Wir versuchen das ja auch. Aber angesichts von 70 Milliarden Schulden bei einer Stadt, deren Etat nicht mal die Hälfte dessen ausmacht, kann man nicht einfach locker darüber reden, wie weit man sich neu verschuldet. Wir konsolidieren nicht aus Jux, sondern um wieder handlungsfähig zu werden. Wir müssen die Einnahmen und Ausgaben in Übereinstimmung bringen. Und wir wollen massiv entschuldet werden, deshalb unsere Notstandsklage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Welche Zugeständnisse würde die Linkspartei machen, um die Konkurrenz der WASG für sich zu gewinnen?

Lederer: Wir bieten eine offene Debatte über alle Punkte, die die Freundinnen und Freunde von der WASG mit uns bereden wollen. Aber man muss anerkennen, dass wir einen Entwicklungsprozess von 15 Jahren vollzogen haben. Die WASG hingegen hat den Prozess gerade erst begonnen, ein Programm zu formulieren und am Ende konkrete Projekte zu haben. Wir wollen, dass die WASG anerkennt, dass wir diese Erfahrungen gesammelt haben, und dass das nicht einseitig mit dem falschen Vorwurf abgetan wird, wir machen neoliberale Stadtpolitik.

Herr Puskarev, sind Sie bereit für diesen Lernprozess, den sich die PDS wünscht?

Puskarev: Wir haben die Realitäten schon längst anerkannt. Aber wir ziehen andere Schlüsse daraus. Wir würden zum Beispiel eher versuchen, unsere Forderungen in der Opposition zu behaupten, als uns in einem Regierungsbündnis zu weit von unseren Zielen zu entfernen.

Sie bleiben also lieber uneingeschränkt Ihren Idealen treu, als praktische politische Verantwortung zu übernehmen?

Puskarev: Ja, zumindest wenn die Kompromisse zu schmerzhaft sind.

Lederer: Aber man kann doch nicht leugnen, dass auch die Opposition Sachzwängen unterliegt. Auch Sie als außerparlamentarische Oppositionspartei können nicht mehr Geld ausgeben als vorhanden ist. Man muss doch mal realistisch sein, Herr Puskarev, und erkennen, dass es Wahnsinn wäre, wenn wir zur Wahl antreten und sagen: Wir haben vier Jahre lang Erfolge für Berlin erzielt, aber melden uns jetzt ab und überlassen das Feld Schwarz- Rot oder Schwarz- Gelb. Links sein bedeutet für mich, in konkrete Kräfteverhältnisse einzugreifen. „Hic Rhodus, hic salta!“ hat Marx gesagt – hier stehst Du, hier spring! In der Situation sind wir, und wir werden springen. Und ich hoffe, wir werden gemeinsam mit Ihnen springen.

Herr Lederer, hat die Linkspartei ihre Ideale aufgegeben und sich dem Diktat der knappen Kassen gefügt?

Lederer: Jeder, der Politik im Parlament oder in der Regierung machen will, unterliegt dem Diktat der knappen Kassen. Alles, was man zu viel ausgibt, muss man woanders einsparen. Wir sind nicht unseren Zielen untreu geworden, aber wir erkennen an, dass wir nicht die Omnipotenz haben, alle gesellschaftlichen Zustände nach unserem Bild umzustülpen.

Herr Puskarev, verschließt die WASG vor den Sachzwängen die Augen?

Puskarev: Nein, wir kennen die Sachzwänge. Aber wir sagen, dass es Situationen gibt, in denen kann man seine Ziele vielleicht erfolgreicher verfolgen, wenn man nicht in Regierungen zu Kompromissen gezwungen ist, sondern sie aus einer starken Opposition heraus fordert.

Wollen Sie damit sagen, Berlin wäre besser dran ohne die Jahre der rot-roten Landesregierung?

Puskarev: Mit einer starken Opposition? Ja. Wir haben das auch bei 16 Jahren Kohl erlebt. Da hat eine linke Opposition bestimmte Bevölkerungsteile mobilisiert und sehr wohl großen Einfluss auf die Regierungspolitik gehabt.

Lederer: Das stimmt doch nicht! Es gibt keinen Punkt, an dem eine rot-grüne Opposition verhindert hat, dass sich Kohl durchsetzt. Und was Berlin angeht: Wir haben innenpolitisch Dinge erreicht, die gibt es in keinem anderen Bundesland. Das kann man doch nicht zur Plünderung durch die übrigen Parteien freigeben!

Glauben Sie, dass Sie trotz Ihrer Meinungsverschiedenheiten in den demnächst beginnenden öffentlichen Gesprächsforen Ihrer beiden Parteien zueinander finden und am Ende fusionieren?

Puskarev: Das ist ein Projekt, das unsere Parteien auf Bundesebene bis 2007 vollziehen werden, bis dahin werden wir uns in Berlin zusammenraufen müssen und miteinander klarkommen. Für diesen Prozess wäre es schädlich, wenn wir im nächsten Jahr getrennt zur Wahl antreten. Nichtsdestotrotz haben wir politische Inhalte, die wir nicht aufgeben wollen. Gelingt uns das, ist es gut. Gelingt es uns nicht, könnten wir unseren Mitgliedern den Verzicht auf einen eigenständigen Wahlantritt nicht vermitteln.

Lederer: Mein Problem ist, Herr Puskarev, dass wir bisher immer nur Zettel von Ihnen bekommen haben, auf denen Ultimaten standen, die für uns nicht akzeptabel waren. Auch fehlt mir bei Ihnen noch der Blick für den Horizont, zu dem man sich bewegen kann. Von der WASG höre ich immer nur: Man will gegen den Neoliberalismus kandidieren. Aber ich sehe einfach noch nicht, wie wir eine gemeinsame Verständigung über konkrete Politik hinbekommen.

Herr Puskarev, die Linkspartei will Ihre Partei zu einer Ausdifferenzierung zwingen. Früher oder später könnte das die WASG spalten…

Puskarev: Es geht darum, eine neue Linke zu formieren. Und da werden wir versuchen, alle mitzunehmen. Allerdings ist es möglich, dass Leute zurückbleiben, das wird man nie ganz verhindern können.

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