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© Georg Moritz

Missbrauchsfälle: Canisius-Kolleg: Kein ganz normaler Schultag

Am Canisius-Kolleg ging der Unterricht wieder los. "Der erste Schultag war ganz normal", sagt eine Schülerin. Aber ganz so normal ist er offenbar nicht.

Das Canisius-Kolleg ist gut bewacht an diesem Montag, dem ersten Schultag nach den Winterferien: Dunkelblau und schwarz gekleidete Wachmänner stapfen durch den Schnee um das Schulgebäude herum und passen auf, dass kein Unbefugter auf das Gelände des jesuitischen Gymnasiums kommt.

„Der erste Schultag war ganz normal“, sagt eine Schülerin, die auf dem Bürgersteig vor den Schule steht und offensichtlich genug hat von den Fragen der vielen Reporter. „Na ja, ganz so ist es nicht“, sagt ein 17-Jähriger und zeigt auf den Wachschutz. Und er erzählt von der „predigtartigen“ Rede, die der Rektor Pater Klaus Mertes in der dritten Stunde in der Turnhalle gehalten hat: „Der Schulleiter hat gesagt, dass wir wunderbare Schüler sind. Und auch, dass unsere Schule wunderbar ist und es auch bleiben wird.“ Mertes habe sich auch zum dritten, vergangene Woche bekannt gewordenen Missbrauchstäter geäußert: Dieser sei von 1970 bis 1971 Lehrer am Canisius-Kolleg in Tiergarten gewesen und habe von 1976 bis 1981 in Berlin als Lehrer an der katholischen Liebfrauenschule und als Jugendseelsorger gearbeitet.

In seiner Ansprache, die in brieflicher Fassung auch den Eltern zuging, hat der Schulleiter versichert, dass sich bislang kein Schüler abgemeldet habe – und auch keine Bewerbung zurückgezogen worden sei. Für die Zukunft gelte: Nicht wegzuschauen, wenn Gewalt geschehe.

„Ich bin mir sicher, dass mein Kind an dieser Schule gut aufgehoben ist“, sagt ein junger Vater, der um 14 Uhr seinen Sohn abholt. Und ein Schüler betont, er gehe weiterhin sehr gerne auf diese Schule – auch wenn er sich in den Ferien im Bekanntenkreis ein paar „blöde Bemerkungen“ anhören musste. „Ich schätze an meiner Schule die offenen Diskussionen, vor allem im Geschichtsunterricht“, sagt er.

Unterdessen ist sich die Berliner Staatsanwaltschaft sicher, dass der sexuelle Missbrauch von Schülern am Canisius-Kolleg in den 70er und 80er Jahren keine strafrechtlichen Konsequenzen hat. „Die Taten sind verjährt“, sagte der Sprecher der Anklagebehörde, Martin Steltner, am Montag. Es seien rund 20 Fälle geprüft worden. Wie ebenfalls am Montag bekannt wurde, hat sich der des sexuellen Missbrauchs von Schülern verdächtigte frühere Lehrer am Canisius-Kolleg, Wolfgang S., in einem Brief gegen die Vorwürfe zur Wehr gesetzt. „In dem Brief schreibt S., dass es sich bei seinen Taten nicht um sexuellen Missbrauch im schweren Sinn gehandelt habe“, bestätigte Thomas Busch, der Sprecher der deutschen Jesuitenprovinz. Wolfgang S. gebe in dem Brief an, Schüler „mit beträchtlicher Härte“ geschlagen zu haben, nicht aber sexuellen Kontakt zu ihnen aufgenommen zu haben. Er bestehe auch darauf, dass er weder homosexuell noch pädophil sei. Der Brief sei im Januar in Chile verfasst worden. „Inhaltlich deckt er sich mit unserem derzeitigen Ermittlungsstand“, sagte Busch. Der 65-jährige Wolfgang S. war von 1975 bis 1984 als Deutsch-, Religions- und Sportlehrer am Canisius-Kolleg sowie weiteren Jesuitenschulen in Hamburg und im Schwarzwald tätig. Danach ging er für den Orden nach Spanien und Chile.

Im Erzbistum Berlin ist neben dem aktuellen Verdachtsfall in der Gemeinde Heilig-Kreuz in Hohenschönhausen noch ein weiterer Fall bekannt geworden, sagte Bistumssprecher Stefan Förner. Dieser habe sich 1952 in einer katholischen Gemeinde ereignet, nicht an einer Schule. Berlins Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky habe vor einigen Jahren von einem Opfer davon erfahren. Nachforschungen hätten ergeben, „dass der Täter vermutlich verstorben ist“, sagte Förner. Deshalb habe man den Fall nicht weiter verfolgt.

Stefan Dybowski, der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Kirche in Berlin, will am heutigen Dienstag die Leiter der 21 katholischen Schulen im Erzbistum ins Konsistorium einladen, um darüber nachzudenken, „ob es irgendwo Lücken gibt“. Laut Bistumssprecher Förner soll es unter anderem darum gehen, wie man die Vertrauenslehrer noch besser auf die Thematik Missbrauch vorbereiten, wie man das Schulklima insgesamt verbessern könne, damit keine Tabus entstehen. Auch soll darüber gesprochen werden, wie man vielleicht im Sexualkundeunterricht den Kindern noch besser vermitteln könnte, dass sie sich wehren müssen, wenn ihnen ein Lehrer zu nahe tritt, und sich bei Grenzverletzungen an den Vertrauenslehrer wenden sollen. Zu der Frage, warum es oft Jahrzehnte dauere, bis sich Menschen, die von katholischen Geistlichen missbraucht wurden, an die Öffentlichkeit wenden, wies Bistumssprecher Stefan Förner auf das „überhöhte Bild vom katholischen Priester“ hin, das in der Gesellschaft existiere. Die Überhöhung mache es Opfern schwerer, sich darüber klar zu werden, was geschehen ist. Förner hat Verständnis, wenn sich Opfer zuerst an die Polizei wenden anstatt an die Kirche. Die 2002 von der Bischofskonferenz erlassenen Richtlinien zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche sehen vor, dass zunächst innerhalb der Kirche ermittelt wird, ob sich ein Verdacht bestätigt. Erst danach soll bei einem schweren Vergehen Anzeige erstattet werden.

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