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Missbrauchsvorwürfe an der Charité: Scheeres will ein Kinderschutzkonzept

Pfleger sollen an der Charité in Zukunft strenger geprüft werden - aber das ist Wissenschaftssenatorin Scheeres nicht genug. Ein Kinderschutzkonzept muss her. Doch bis das umgesetzt ist, können Monate vergehen. Dabei drängt die Zeit, denn solche Grenzüberschreitungen an Kliniken sind beileibe keine Einzelfälle.

Die Charité, das größte Universitätsklinikum Europas, steht nach den jüngsten Missbrauchsvorwürfen vor umfangreichen Reformen im Umgang mit Patienten und Mitarbeitern. Erste Schritte wie die Pflicht zur Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses für alle Mitarbeiter in besonders sensiblen Bereichen und die Einsetzung eines „Kommunikationsmanagers“ an der Spitze der Klinik kündigte ihr Vorstandsvorsitzender Karl Max Einhäupl am Wochenende an.

Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) forderte am Sonntag darüber hinaus gegenüber dem Tagesspiegel „ein tragfähiges Kinderschutz- und Präventionskonzept“ für die Charité. Bis zu diesem Montag soll Einhäupl der Senatorin einen Bericht über die aktuellen Vorgänge vorlegen. Scheeres hatte es in den vergangenen Tagen als „unerklärlich“ bezeichnet, dass ein 58-jähriger Pfleger, der bereits in den Vorjahren wegen Übergriffen aufgefallen war, weiterhin dort tätig war und nun eine 16-jährige Patientin missbraucht haben soll. Auch hatten sie und andere Politiker kritisiert, dass der Fall seitens der Klinik zu spät bekannt gemacht worden war.

Die von Einhäupl angekündigten Schritte sind voraussichtlich nur ein kleiner Teil einer umfangreicheren Aufarbeitung. Die aktuelle Debatte dürfte die Klinik noch Monate beschäftigen, sagte Sigrid Richter-Unger von der Beratungsstelle „Kind im Zentrum“ dem Tagesspiegel am Sonntag. Sie gehört zu der Expertengruppe, die die Charité beim Umgang mit den Vorgängen beraten soll und sich unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries an diesem Montag zum ersten Mal trifft.

Beim privaten Helios-Klinikum in Berlin-Buch habe es mindestens ein dreiviertel Jahr gedauert, bis die Klinik alle Konsequenzen aus einem Missbrauchsfall im Jahr 2010 gezogen hatte, sagt Richter-Unger, die auch damals Beraterin war. Dazu gehörte neben Schulungen und Gesprächen mit Mitarbeitern der Einbau von Kameras auf der Kinderstation, zudem wurden in vielen Krankenzimmertüren Scheiben eingebaut. Senatorin Scheeres sagte, das Expertenteam habe „die notwendige Professionalität und Erfahrung, um die Schwachstellen zu finden“.

Nach Einschätzung des CDU-Gesundheitspolitikers Gottfried Ludewig muss die Charité „ihre Kommunikationskultur grundlegend ändern“. Statt zu versuchen, Probleme intern zu regeln, müsse eine „Fehler- und Kritikkultur“ etabliert werden, zu der auch die schnellere Information der Öffentlichkeit gehört.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Thomas Isenberg sagte, die „Vorwärtsstrategie“ von Charité-Chef Einhäupl sei „überfällig“ gewesen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Klinik wiederherzustellen.

Fälle von Grenzüberschreitungen kommen nach der Erfahrung von Tagesspiegel-Lesern an deutschen Kliniken häufiger vor und werden von den Verantwortlichen teilweise heruntergespielt. So berichtet die Kommentatorin mit dem Alias-Namen "Berliner Bärin" in einem Kommentar zu einem Charité-Text: „Ich habe mal einen Krankenhausaufenthalt abgebrochen, als mir ein Pfleger zu nah auf die Pelle rückte. Kommentar des Leitenden Oberarztes: Herr XY ist halt nicht einer unserer sensibelsten Mitarbeiter, haha! Während einer Kur etwas später: Der Pflegedienstleiter, kurz vor der Pensionierung, liebt "körperliche Kontaktaufnahme" zu Patientinnen. Eine Patientin reist deswegen ab. Kommentar der leitenden Ärztin: Ja, das Problem ist bekannt, seufz. Konsequenzen? Keine. Das Problem erledigt sich durch die Pensionierung dann wenig später selbst. (...) Persönliches Fazit: Grenzverletztendes Verhalten durch Pflegekräfte kommt dort vor, wo von Seiten der Stations- und Klinikleitung aktiv weggeschaut wird, das Ganze banalisiert und lächerlich gemacht wird und übergriffige Pfleger keine Konsequenzen zu fürchten haben. Die Charité braucht keinen Kommunikationsmanager, sie braucht Führungskräfte, die das Problem der sexuellen Belästigung ernst nehmen.“

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