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Bitte recht freundlich. Die Ehrenamtlichen sammeln auch Spenden für Aids-Hilfsprojekte.

© Paul Zinken

Mission Nächstenliebe: Ehrenamtliche gehen für die Aids-Prävention auf die Straße

Sie nennen sich Schwestern der Perpetuellen Indulgenz. Sie stylen sich - und verteilen Kondome sowie Infoflyer zum Schutz vor Krankheiten

Küsschen rechts, Küsschen links. Man kennt sich in der Schöneberger Szenekneipe. Die beiden auffällig geschminkten Gäste sind aber nicht zum Biertrinken oder Flirten hier. „Schwester Latea“ und „Schwester Sunshine“ nähern sich zwei Kerlen am Tisch. Der eine gestreckte Arm mit den beringten Fingern bietet einen Infoflyer an, der andere eine Kondompackung. „Für die schnelle Nummer“, steht da drauf. Die Männer am Tisch winken ab. Sie wollen ungeschützten Sex. Die Schwestern ziehen weiter zum nächsten Tisch, hier wird das Gratisgeschenk mit einem Grienen angenommen. Das freut die Ehrenamtlichen im Dienste der Aids-Prävention. „Wir wollen ja nicht in den Darkroom gehen und uns mahnend neben die Männer stellen“, sagt Schwester Latea, „aber wir appellieren an die Eigenverantwortung.“

Schöneberg, Schwulenkiez, die Kneipe heißt Prinzknecht, das klingt für viele Gäste vielversprechend. Berlin ist als Hauptstadt des „Barebacking“ bekannt, des Geschlechtsverkehrs ohne Kondom, da wird in der Hitze der Nacht gern der Kopf abgeschaltet. Rund 460 Neuinfektionen mit dem HI-Virus gab es in Berlin laut Berliner Aids-Hilfe im vergangenen Jahr. Rund 150 Menschen erkrankten 2010 an Aids, etwa als Folge einer langfristigen HIV-Infektion oder durch Therapieversagen. Die am weitaus stärksten betroffene Gruppe sind „Männer, die Sex mit Männern haben“. Es sind Schwule, und auch Bisexuelle, teils verheiratet, die ihre homosexuelle Neigung heimlich ausleben.

In den USA sammeln sie Spenden mit Wassereimern

Um sie alle kümmern sich die „Schwestern der Perpetuellen Indulgenz“. Der blumige Titel des Helferordens bedeutet so viel wie „immerwährende Freude“. Die Organisation wurde 1979 vor Beginn der Aids-Epidemie in San Francisco gegründet, um für die Rechte von Homosexuellen zu kämpfen. Seit Anfang der 80er Jahre geht es vor allem um den Kampf gegen Aids. In Berlin ist Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) Schirmherrin des bundesweit aktiven, als gemeinnützig anerkannten Vereins mit rund 15 aktiven Helfern. In den USA sammeln Schwestern Geldspenden mit Wassereimern, in Berlin reichen Latea und Sunshine ordentlich verplombte Spendenbüchsen. Das Geld geht „eins zu eins an Aidshilfeprojekte“, sagt Sunshine, unter anderem an Projekte der Berliner Aidshilfe. Dort lobt man die Arbeit der Schwestern im Fummel. Der Kopfschmuck besteht aus mit Füllwatte ausgestopften Büstenhaltern („90 Doppel-D“), bis Schwester Latea sich komplett zurechtgemacht hat, „brauche ich zwei Stunden“. Doch das Outfit – in Deutschland, in Kanada, in England, in Kolumbien – ist mehr als Maskerade.

Die Maskerade hilft bei der Arbeit

„Wir schlüpfen in eine Rolle, die uns selbst Schutz bietet, uns anonymisiert und es den Leuten erleichtert, sich uns zu öffnen“, sagt Latea, 37 Jahre alt und aus Schöneberg. Sunshine ist 30 und kommt aus Wilmersdorf, doch die wahre Identität tue nichts zur Sache, sagen beide. Gleich zwei Vereine gibt es in Berlin, sie verfolgen das gleiche Ziel. Hinter den weißen Gesichtern, den bunten und kreativ genähten Kleidern stecken Geschäftsleute, Verwaltungsfachangestellte, Arbeitslose, Männer, Frauen, Transsexuelle.

„Wir alle haben den Ruf gehört und das innere Verlangen verspürt, uns zu engagieren“, so drückt es Latea ganz gefühlig aus. Die Schwestern informieren und hören allen zu, auch in Lokalen außerhalb der Homosexuellen-Szene, bei Straßenfesten. Und sie empfehlen Menschen jeglicher sexueller Orientierung den Schutz vor dem HI-Virus und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.

„Ich nehme keine Kondome“, sagt jetzt einer der Männer an den Biertischen. Trotz des hohen Risikos? „Wenn ich jedes Mal das Thema Aids, Hepatitis C oder Syphilis ansprechen würde, wäre ja die Stimmung sofort auf Null“, sagt er. „Und ich gehe ja ohnehin alle drei Monate zum Test.“ Bei so viel Hedonismus und Sorglosigkeit muss man erstmal kontern.

Schrittmacher. Schwester Latea (l.) und Schwester Sunshine beim nächtlichen Einsatz im Schöneberger Kiez.
Schrittmacher. Schwester Latea (l.) und Schwester Sunshine beim nächtlichen Einsatz im Schöneberger Kiez.

© Paul Zinken

Die schrill erscheinenden Typen gehen dafür durch eine harte, mindestens einjährige Schule. Sie haben sich selbst strenge Ausbildungskriterien auferlegt, um sicherzustellen, dass es die neuen Mitglieder auch ernst meinen. Neueinsteiger beginnen als Aspirant, drei Monate lang, da darf man nur schwarze Kleidung tragen, hört zu, geht mit, reicht mal etwas an. Es soll Demut gelernt werden, Bescheidenheit und Dankbarkeit. Dann folgt die gleichlange Zeit des Postulats, nun mit weiß geschminkten Gesicht und weißem Kurzschleier, und schließlich folgt das Noviziat. Dann zahlt jeder Ehrenamtliche sogar noch 60 Euro Jahresbeitrag für die Verwaltung des Vereins: Computer, Telefon, Broschüren, all das kostet ganz weltliche Euro. Und wie steht die Kirche zu den schwulen Schwestern? „Wir unterstützen auch die katholischen Nonnen der Organisation Tauwerk mit Spenden“, sagt Latea. Diese leisten Sterbebegleitung im Hospizdienst. „Im Vatikan allerdings werden wir als Gotteslästerer bezeichnet.“ Die Schwestern tragen auch das mit Würde. „Gott liebt alle Kinder“, sagen sie.

Nächtlicher Einsatz im Dienste der Nächstenliebe

Wenn sie angepöbelt oder verlacht werden, „lautet das Motto gelassen bleiben, nie maulig werden, höflich zurückweisen, auch, wenn Männer mal zutraulich werden“, sagt Latea. Wer in einer Bar am Handy spricht, wird höflicherweise nicht angesprochen oder um eine Spende gebeten. Auch in der Leder- und Fetischszene sind die Ehrenamtlichen im nächtlichen Einsatz im Dienste der Nächstenliebe.

Bei dem jungen Mann aus Bayern, der draußen vor einer Bar in Schöneberg in Trachten-Lederhose sein Bierchen trinkt, stoßen Latea und Sunshine auf Verständnis. „Als wir mal mit unserer Schuhplattlergruppe in Kenia auftraten, haben uns die Einheimischen gesagt, wenn man mit einer Jungfrau schläft, wird man geheilt“, sagt der Mann aus Bayern. Bei ihm zu Hause in den Dörfern werde Homosexualität versteckt ausgelebt, aber Kondome gehörten dazu. Andere Schwule schütteln da ungläubig den Kopf. „Aber über Sex und Verhütung zu reden, finde ich vernünftig“, sagt der Bayer, und möchte jetzt gern mal unter vier Augen mit Schwester Latea reden. Schnitt.

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