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Bonjour Tristesse: Wer kennt es nicht, dass Grafitti an der Falckenstein- Ecke Schlesische Straße?

© Mike Wolff

Missmanagement in Berlin: Wie herrlich ist es, in dieser Stadt mies drauf zu sein!

Wenn in Berlin alles so funktionieren würde, wie es das müsste – könnten wir dann noch in aller Ruhe zu großer Form auflaufen? Ein Kommentar.

Auf die Frage, warum sich die Sizilianer eigentlich so hartnäckig gegen Reformen sperren, antwortet der Fürst von Salina, der „Leopard“ in Luchino Viscontis gleichnamigen Film, mit einem wunderbaren Satz: „Weil sie sich für vollkommen halten.“ Die Berliner sehen es ganz ähnlich. In ihrer Welt, in der nichts klappt, sind sie unerschütterliche Meister des Geschehenlassens. Vollkommen darin, das Scheitern zu antizipieren und für sich als Triumph der Lebensart zu verbuchen.

Aber ich greife vor. Als am vergangenen Donnerstag überall in der Stadt Ampelanlagen ausfielen und die Autofahrer den Straßenverkehr selbst regeln mussten, da hieß es aus der zuständigen Informationszentrale sinngemäß: „Alles nicht so dramatisch.“ Genau, wer lässt sich denn einen schönen Sommertag von einer solchen Panne versauen? Dass dergleichen wegen offenbar unvermeidlicher Stromschwankungen immer wieder vorkommen kann – wen juckt’s.

Hatten wir tatsächlich etwas Besseres vor?

Ja, wen? Jetzt mal ehrlich. Nicht, dass man diese stoische Genügsamkeit nicht ohnehin längst gewohnt wäre vom öffentlichen Dienst. Sich über derlei aufzuregen, womöglich noch unter dem Druck wichtiger Termine (ja, ja, Termine, TERMINE), kommt mir ein bisschen deplatziert vor. Wenn man nicht gerade Anwalt, Immobilienmakler oder Flüchtlingshelfer ist, will man in Berlin doch in erster Linie seine Ruhe haben. Seien wir ehrlich: Das Ärgerlichste an Ampelausfällen ist nicht der Stillstand, den einem Staus und vollgestellte Kreuzungen bescheren, sondern die Tatsache, dass man gerade jetzt kein Buch zur Hand hat. Ein äußerst unfairer Eingriff ins Chill-Management. Aber hatten wir tatsächlich gerade etwas Besseres vor?

Es zählt mittlerweile zum guten Ton, spöttisch über Bauvorhaben, Infrastrukturprojekte und Reförmchen herzuziehen, die nie fertig werden und Unsummen verschlingen. Die kriegen’s hier einfach nicht hin, ist ein oft gehörter, sogar selbst gesagter Satz. Wie gut der immer wieder tut. Denn so lange die anderen, also die Beamten oder wen man sich auch immer unter den „fleißigen Arbeitern“ unseres Gemeinwesens vorstellen mag, so lange die also nicht in die Pötte kommen, kann man sich selbst beherzt zurücklehnen.

Nun sagt man mir, dass es doch ziemlich ärgerlich sei, vier Monate auf einen Pass zu warten, den man nächste Woche bräuchte. Und wie viele von den Millionen Euro, die der ungeöffnete BER-Flughafen täglich verschlingt, wären sinnvoller eingesetzt, um Erzieher zu bezahlen und Schulgebäude zu sanieren. Alles richtig, zweifellos beschämend. Aber deshalb jetzt gleich was ändern, am besten noch grundsätzlich? Geht’s noch?

Denn es ist nun einmal so: Eigentlich müsste die Stadt den Weg New Yorks unter Bürgermeister Rudolph Giuliani Anfang der 90er Jahre gehen, als dessen Kampf gegen die Verwahrlosung des Stadtbilds und die Kleinkriminalität zu einer massiven sozialen Umschichtung führte. Aber wer wünscht sich das: Die Menschen sind heute selbst in Brooklyn und Queens in dem gehetzten Tempo unterwegs, in dem früher nur die Banker in Downtown Manhattan an ihre vollklimatisierten Asset-Schlachtfelder eilten.

Soziotope eines gepflegten Schlunz-Universums

Unsere Aufgabe ist es, dem Zusammenhang von Time und Money, der die Welt andernorts ins Unglück stürzt, ein Schnippchen zu schlagen und uns in unsere Alltagsdepressionen, unser halbherziges Genörgel und unsere ziellose Unzufriedenheit zu stürzen als das Schönste, was uns bleibt.

Wie herrlich ist es, in dieser Stadt mies drauf zu sein! Friedrichshain bezieht aus schlechter Laune einen Gutteil seiner Existenzberechtigung. Aber es muss nicht immer linker Weltfrust sein. Berlin hat von jeher Menschen angezogen, die überall anders aneckten und sich hier nicht zu verändern brauchten. Das hat Soziotope eines gepflegten Schlunz-Universums entstehen lassen, die aufrechtzuerhalten immer anstrengender wird. Fühlte man sich früher durch das unverdiente Ausmaß an persönlichen Freiheiten schlecht, macht es die Sache nicht angenehmer, wenn es heute immer weniger davon gibt. Ein Horror wäre nur, wenn um einen herum plötzlich alles besser würde.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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