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Berlin: Mit Charme und Melonen

Vor 120 Jahren begründeten die Markthallen den modernen Einzelhandel. Jetzt kämpfen die verbliebenen drei um Kunden

Die Markthallen haben Tradition – und die Billigkonkurrenz der Discounter hat Zulauf. Angesichts mancher leerer Markthallenstände scheint es, dass sich diese Form des Handels nach 120 Jahren überlebt hat. Die alten Hallen bieten zwar viel Urberliner Charme, aber weder Klimaanlage noch automatische Eingangstüren.

Dabei blicken die Markthallen als Vorläufer der modernen Einkaufszentren auf glanzvolle Zeiten zurück. Die begannen am 3. Mai 1886 mit der Eröffnung der ersten Halle von insgesamt 15, die in den folgenden sechs Jahren unter städtischer Regie entstanden. Sie sollten die Menschen in der wachsenden Großstadt mit frischen Lebensmitteln versorgen und das „unhygienische Gebaren“ der rund 20 offenen Wochenmärkte beenden. Denn die stanken nicht nur nach Regengüssen im wahrsten Wortsinne zum Himmel. Für die Berliner waren die Markthallen Mittelpunkt des täglichen Lebens, an dem sie sich nicht nur mit Käse und Wurst versorgten, sondern auch ihre sozialen Kontakte pflegten. Heute stehen die Backsteinbauten mit den verzierten Klinkerfassaden, Rundbögen und gusseisernen Elementen unter Denkmalschutz.

Nur vier dieser Hallen stehen noch, während die anderen dem Krieg oder der Abrissbirne zum Opfer fielen. In die Ackerhalle in Mitte ist ein „Extra“-Supermarkt gezogen. Bleiben drei Klassiker: Eisenbahn- und Marheinekehalle in Kreuzberg sowie die Moabiter Arminiushalle. Alle drei suchen nach zeitgemäßen wirtschaftlichen Konzepten. „Seit Ende der 90er Jahre hat es Umsatzeinbußen gegeben. Gründe dafür sind die wirtschaftliche Lage und das Überangebot an Supermärkten und Großhandelsketten“, sagt Michael Bahr von der Berliner Großmarkt GmbH. Die verwaltet seit 1970 die drei zuvor städtischen Hallen. „Wir wollen versuchen, mit einem guten Branchenmix und Marketing mehr Kunden zu gewinnen“, sagt Bahr. Anfang 2007 soll die Marheinekehalle saniert werden. Die Händler ziehen dann für fast ein Jahr in Container. Geplant ist ein lichter Glasbau mit Parkplätzen im Keller und drei Einkaufszonen: eine „Handwerkergasse“ mit alltagsnahen Dienstleistungen, ein „Frische-Marktplatz“ mit Lebensmitteln und eine „Multikulti-Spezialitätengastronomie“. Für Arminius- und Eisenbahnhalle entwickelt die Berliner Großmarkt GmbH zurzeit Konzepte.

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Die Marheinekehalle zeigt nur äußerlich Ermüdungserscheinungen: braune Deckenfenster, kaugummiverklebter Boden und grelle Neonröhren schaffen Fabrikhallenatmosphäre in der im Krieg zerstörten und 1953 neu aufgebauten Halle. Es ist dunkel, unter dem Holzdach staut sich die Hitze. Doch an den Ständen herrscht reges Markttreiben. Der Geruch von Gewürzen, Kräutern, Fisch, Wurst und Käse liegt in der Luft. Und zwischen spanischen Spezialitäten und Schnittblumen ist immer Zeit für ein Schwätzchen. „Das ist hier wie auf dem Dorf. Ich kenne manche Händler, seit ich klein bin“, sagt Kundin Kathrin Däbritz, die sich gerade am Fischstand mit Dorade versorgt. Am Wochenende herrscht in den Gassen sogar richtiges Gedränge. Die Halle sei eben ein Kieztreffpunkt ohne Kaufcenter-Konkurrenz in der Nähe, erklären Händler. Sie bieten heute an knapp 50 Ständen ihre Waren an – bei der Eröffnung im Jahr 1892 waren es 300.

Bärbel Lorenzen ist mit ihrem Stand die Hallenälteste. Seit 38 Jahren steht sie an der gleichen Stelle – von ihrem „Fruchthaus“ kann sie heute noch leben. „Wir sind ein Tante-Emma-Laden, da muss man auf die Leute zugehen, sonst kannst du einpacken“, sagt die 62-Jährige. Stolz erzählt sie, dass sie auch Kunden wie Schauspielerin Ulrike Folkerts oder Entertainerin Gayle Tufts zu Obst und Gemüse verholfen hat. Da hat es die „Strumpfbox“ einen Gang weiter schon schwerer. „Eigentlich bin ich die geborene Marktfrau, aber die Leute wollen ihre Strümpfe eben lieber im Zehnerpack beim Supermarkt kaufen“, sagt Birgit Otto. Sie ist seit sieben Jahren hier und nimmt den Umzug im Januar gern in Kauf – „wenn’s hier danach wieder schön wird“. Vergleichsweise geht es der Marheinekehalle gut – sie ist noch fast komplett vermietet.

Marheinekehalle: Marheinekeplatz 15, Kreuzberg, Verbindung: U7 bis Gneisenaustraße, geöffnet: Mo–Fr 8–19, Sa 8–14 Uhr

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In der Arminiushalle fällt der Leerstand nicht sofort ins Auge. An der breiten Flaniermeile in der Mitte reihen sich noch die Läden aneinander. Abseits davon kleben allerdings grelle Zu-Vermieten-Schilder an heruntergelassenen Rollläden. „Ohne meine Stammkunden hätte ich längst zumachen müssen“, sagt Nermin Dogan. Seit 17 Jahren ist sie mit „Dogan Frischfisch“ in der Arminiushalle, die sie mittlerweile „Gruselhalle“ nennt. „13 Prozent Leerstand“, sagt Michael Bahr von der Berliner Großmarkt GmbH. Für den Betrachter sieht es eher nach 50 Prozent aus. Dabei war die Arminiushalle einst Legende. In den 80ern wurde an „Langes Imbiß“ die Serie „Drei Damen vom Grill“ gedreht. Da liefen auch die Geschäfte an Fred Leists Stand für Romane noch gut. Heute ist der 62-Jährige skeptisch: „Das Besondere geht langsam verloren. Man weiß nicht, was auf einen zukommt.“

Vor vier Jahren sind alle zusammengerückt, um Platz zu machen für die Filialen von „Norma“ und „Schlecker“. Moderne Stände wurden gebaut – mit dem rosa Hintergrundlicht und klinischen Weiß der langen Theke von der „Wild- und Geflügel-Oase“ vielleicht etwas zu modern für die antike Halle. Mit den Großhandelsketten hat das Flair ebenfalls zu kämpfen. „Aber ohne die wäre es hier noch leerer“, sagt Nermin Dogan. Sie will Optimistin bleiben – und hofft, dass jüngere Leute die Markthalle entdecken.

Arminiushalle: Bremer Str. 9, Tiergarten, Verbindung: U9 bis Turmstraße, Öffnungszeiten: Mo–Fr 8–19, Sa 8–14 Uhr

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Leer ist die Eisenbahnhalle an diesem Vormittag. Das historische Flair von 1891 ist irgendwo zwischen Frittierfett und Biergläsern verloren gegangen. Ganz vorn in der Halle haben sich „Aldi“ und „Drospa“breitgemacht. Was sonst noch läuft, sind die Schultheiss-Tränken und die Imbiss-Stände. Ein paar Kunden trinken auch Kaffee, eine junge Frau kauft Brotaufstrich bei „Feinkost Helin“, einem der verbliebenen Stände. Davon gibt es hier noch 14; von den drei Markthallen hat die Eisenbahnhalle den höchsten Leerstand. „Vor Kurzem ist auch noch der Gemüseladen ausgezogen“, sagt Sascha Wruck vom Kaffeestand. Auch er wird demnächst aufgeben – nach 15 Jahren. Die Supermärkte haben nicht genug neue Kunden gelockt. „Es lohnt sich nicht mehr, hier zu arbeiten. Die Leute rennen zu Aldi und das war’s“, sagt Wruck. Über seine Stammkunden, die auf einen Kaffee und einen Plausch vorbeischauen, freut er sich trotzdem. Es sei schade, dass immer mehr Leute aus der Nachbarschaft wegzögen. Ingeborg und Mareike Dehling sind ihrer Halle aber treu geblieben: „Die Leute gucken eben mehr aufs Geld als früher“, sagt Mareike Dehling. Und ihre Mutter, die die Halle schon seit mehr als 20 Jahren kennt, ergänzt: „Da hilft es auch nichts, wenn die Ware hier zehn Mal besser ist als in den Einkaufszentren der Umgebung.“

Eisenbahnhalle: Pücklerstraße 43/44 oder Eisenbahnstraße 42/43, Kreuzberg. Verbindung: U1 bis Görlitzer Bahnhof, Öffnungszeiten: Mo–Fr von 8–19, Sa 8–14 Uhr

Lisa Garn

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