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Nächste Ausfahrt Wedding: Die Teilnehmer der "Bier"-Tour auf großer Fahrt

© Vincent Schlenner

Mit dem Fahrrad durch den alten Brauereibezirk Wedding: Nächste Ausfahrt Biergarten

Was liegt eigentlich hinter dem Tunnel? Fragten sich vor sechs Jahren ein paar Prenzlauer Berger und starteten Fahrradtouren in den benachbarten Stadtteil. "Nächste Ausfahrt Wedding" - unterwegs auf zwei Rädern auf den Spuren des alten Brauereibezirks.

„Habt ihr Durst?“, fragt der Mann mit der roten Baseball-Kappe. „Wollt ihr mal probieren?“ Die Antwort kommt einstimmig. Eine rhetorische Frage ist das ja im Grunde gewesen, der Mann mit der roten Kappe weiß das, die Gruppe ist schon mehr als zwei Stunden unterwegs, auf Fahrrädern, und jetzt schart sie sich hier in diesem stickigen gekachelten Labor um die glänzende Zapfanlage wie eine Herde ausgedörrter Kühe um die Tränke.

Der Mann mit der Kappe heißt Kurt Marshal, „Kurt wie Schumacher, Marshal wie der Plan“, so sagt er das auf Deutsch mit nur noch minimalem amerikanischem Rest-Einschlag nach 20 Jahren Hamburg und Berlin. Schumacher und Plan, schöne Herleitung, weil es so gut passt: Der US-Entwicklungshelfer in Sachen deutsches Arbeitergetränk.

So weit ist es schon gekommen mit dem Wedding. Hier, wo vor gut 100 Jahren noch acht Brauereien das Bier hektoliterweise produzierten, muss nun sogar ein Mann aus dem Land des schalen Budweiser kommen, um, in den alten Räumen der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei an der Seestraße, unserem liebsten Gerstengetränk auf den Grund zu gehen.

„Warum Bier? Warum nicht?“, bügelt Marshal die Frage nach dem Was-machen-Sie-hier-eigentlich lässig weg. Warum nicht? Hat er natürlich auch wieder vollkommen Recht.

Fangen wir also lieber noch mal vorne an.

Lust auf den unbekannten Nachbarn namens Wedding

Ein paar Stunden früher an diesem warmen Samstagnachmittag: 13 Menschen haben sich mit ihren Fahrrädern auf der Rückseite des Pfefferbergs eingefunden. Ziel: sich die Brauereikultur des Berliner Nordens zu erradeln. Oder das, was von ihr übrig ist. Was in Prenzlauer Berg immerhin noch in alten Mauern neu verwendet wird, Pfefferberg, Königstadt, Kulturbrauerei, ist im Wedding kaum noch zu sehen. Hier, wo man der Geschichte lieber mit dem Bulldozer zu Leibe rückt, ist kaum mehr als eine bröckelnde Brandwand und dem dazugehörigen Groterjan-Gebäude an der Prinzenallee übrig. „Was trinken wir? Schultheiss Bier“, so lautet der simple Zweisatz, der gerade noch so und bald vielleicht gar nicht mehr zu erkennen ist.

Tanja Kapp und Lothar Gröschel haben die "Nächste Ausfahrt Wedding" gegründet
Tanja Kapp und Lothar Gröschel haben die "Nächste Ausfahrt Wedding" gegründet

© Mike Wolff

„Nächste Ausfahrt Wedding“, unter diesem Motto steht die Tour, die man für sieben Euro, ermäßigt fünf, buchen konnte. Dass sie im Prenzlauer Berg beginnt und im Wedding endet, ist in diesem Fall zwar dem Sujet geschuldet, passt aber gut zur Grundidee. Denn erfunden wurde die „Nächste Ausfahrt“ vor sechs Jahren von Lothar Gröschel und Tanja Kapp, zwei Bewohnern des schicken Gleimviertels am Mauerpark, die sich fragten, was eigentlich hinter dem dunkel-modrigen Tunnel am Ende ihrer Straße liegen mochte. Ein anderer Stadtteil etwa? So begannen die Ausfahrten, als Lust am Entdecken des unbekannten Nachbarn namens Wedding.

Kein Bier vor vier

VLB Berlin: Moderne Brauanlage (vorne) und Bier-Memorabilia (hinten)
VLB Berlin: Moderne Brauanlage (vorne) und Bier-Memorabilia (hinten)

© Vincent Schlenner

„Kleingärten“, „Luisenbad“, „Gott im Wedding“ oder „Roma am Leopoldplatz“, so lauten die Mottos der Touren, die praktisch jedes Wochenende durch den vermeintlich wilden Wedding führen. Klar, es hat immer auch ein bisschen was von Safari, wenn die Mittelstandspärchen mit ihren Fahrradhelmchen und Funktionswesten gemütlich an Casinos und Wettstudios vorbeifahren und Menschen in Thug-Life-Shirts bestaunen (und umgekehrt).

Aber nein, keine Angst, die Gruppe ist gut gemischt, Junge, nicht mehr so Junge, Pärchen, Alleinradelnde, nur eines haben sie alle gemeinsam: In Berlin geboren ist keiner. Auch Guide Torsten nicht, der Kölner, der mit seinen Wanderstiefeln, der Sportsonnenbrille und dem Dreitagebart auch ein Alpenführer sein könnte. Wären da nicht die beiden Luftpumpen, die hinten aus dem Rucksack ragen. Über die alten Brauereien entlang der Schönhauser Allee hat er die lang gezogene Kolonne Radler also durch den Gleimtunnel geführt, hinüber nach Gesundbrunnen und dann richtig rein in den Wedding. Und bei den Stopps unterwegs allerlei Wichtiges und Triviales zum Thema Bier und Brauen erzählt, vom ehemaligen Postbezirk N, dem Berliner Norden wo zwei Drittel aller Brauereien der Stadt standen, drei von ihnen allein entlang der heute praktisch versiegten Panke. Außerdem: von Biersuppe, Malzbier (früher ein Kaloriengetränk für magere Kinder), der Herkunft des Spruchs „Kein Bier vor vier“ und natürlich auch vom Prozess der Bierherstellung, Schroten, Maischen, von Würze und Gärung bis zum fertigen Getränk.

Und dann lässt Kurt Marshal endlich fließen.

Make beer not war

Es wird jetzt geplaudert, in diesem seltsamen Raum, halb Chemielabor, halb Kneipe, auf der einen Seite die makellosen Brauzylinder, verbunden mit langen Rohren, auf der anderen Seite die Zapfanlage mit dem Sticker „Make beer not war“, alte Kacheln an der Wand, am Boden ein rostiger Ausguss, vom lange versprochenen Neubau für die VLB, dem Forschungslabor für Bier, ist nebenan bislang nur eine planierte Sandfläche zu sehen.

So kommt man ins Gespräch. Eine von zwei befreundeten Annas, in Schöneberg wohnt sie, ist zum zweiten Mal bei der „Nächsten Ausfahrt“ dabei und erzählt von der Tour namens „Rap und Religion“, bei der zwei Nachwuchs-Weddinger durch ihren Kiez geführt haben, inklusive Moschee-Besuch und Dönerbuden-Geheimtipp. „Das waren eigentlich so kleine Gangster-Jungs, ganz süß. Die waren wahrscheinlich noch nie an der Museumsinsel, deswegen fand ich es gut, dass sie sich für sowas öffnen.“

Das kalte Bier kreist schon ein wenig im Kopf herum, man hat, dieser Durst!, das Glas natürlich viel zu schnell heruntergestürzt, und es fällt zunehmend schwerer, den weiteren Erklärungen des Kurt Marshal und seiner Besucher zu folgen. Es geht dann dankenswerterweise noch einmal aufs Rad, zur letzten Station, dem Biergarten der „Hausbrauerei Eschenbräu“, in dem man auf Holzbänken unter mächtigen Eichen sitzen und die Produkte des Hauses testen kann. Zum Beispiel das köstliche Dreikorn, das gerade als eines von 18 Saisonbieren gereicht wird. Der Besitzer ist somit der einzige, der die Weddinger Brautradition aktuell fortführt. Es gibt zwar noch ein Bier, das sich „Beer4Wedding“ nennt, aber das wird in Moabit gebraut.

Dem Autor bei Twitter folgen: @johehr.

Nächste Ausfahrt Wedding: Die Termine der Touren im September

Dieser Artikel erscheint auf unserem Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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