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Berlin: Mit dem Kielschwein durch die Bojen zischen

Früh übt sich, wer ein Kapitän werden will – beim Schlauchbootslalom. Schulklassen können jetzt gratis trainieren

Sie ducken sich wie Wintersportler in ihrem Bob. Peilen die Lage in der Umgebung wie Biathleten. Und geben Gas wie Schumi. Der Sport, den Kinder und Jugendlichen auf der Rennstrecke auf der Havel in Gatow betreiben, hätte beste Chancen auf einen Sendeplatz in der Fernsehshow „Außenseiter – Spitzenreiter“. Aber Jennifer Kirsten, elf Jahre jung, ist ihm trotzdem seit vier Jahren verfallen: dem Schlauchbootslalom. „Das macht mir so einen Spaß. Weil ein Motor hinten dran ist und weil das schön schnell ist.“

Schlauchbootslalom – dafür gibt es sogar einen Landestrainer. Hans-Joachim Gleffe, 63, aus Reinickendorf, gerät ins Schwärmen, wenn er sich an die Entstehungsgeschichte seines Sports erinnert. Los ging es bereits Anfang der 80er Jahre, als ein Aktivist aus der Motoryacht-Szene den Sport für Nachwuchstalente in Berlin etablierte. Jahrelang traf sich die bundesdeutsche Elite dann zu den Deutschen Meisterschaften auf der offiziellen Berliner Rennstrecke auf der Havel in Gatow. Doch dann booteten andere wassersportbegeisterte Bundesländer die Berliner aus. Und fortan schlug der Sport in dieser Stadt weniger Wellen.

Das soll sich nun ändern, dank der Rückkehr der Deutschen Meisterschaften nach Berlin im nächsten Jahr – und dank junger Talente wie Jennifer. Das Mädchen mit den wehenden blonden Haaren zieht die wasserfeste Kleidung über und legt die Rettungsweste an. Fragen wir die Expertin: Was müssen Kinder für Fähigkeiten mitbringen, um erfolgreich übers Wasser zu heizen? „Am besten, man hat keine Angst“, sagt die Elfjährige vom Verein Wannseeaten 1911, „denn wenn man Angst hat, dann schafft man es nicht. Dann wollen die Kinder erst gar nicht.“

Dabei brauchen weder die jungen Piloten noch ihre Eltern unerwünschte Berührungen auf dem Fluss zu fürchten. Jeder Starter muss ein Notstoppband umlegen, damit sich der Motor beim Kentern sofort selbst abschaltet – immerhin werden die Schlauchboote für die höheren Altersklassen bis zu 35 Stundenkilometer schnell. Die Skipper steuern allein, ein Kollege muss sich allerdings vorne windschnittig ins Boot ducken – Kielschwein wird der genannt – zum Gewichtsausgleich, und damit noch jemand draußen ist auf dem Wasser. Sicher ist sicher.

Christopher Eichenberg muss man nicht mehr viel erzählen über Notstopp und Knoten, Fahrtechnik und Manövertricks. Der 16-Jährige aus Spandau ist amtierender Deutscher Meister in der Klasse M 4, das sind die Zweitältesten. Schlauchbootslalom, erklärt Landestrainer Gleffe, darf man im Alter von acht bis 25 betreiben. Dieses Jahr geht Christopher in der nächst höheren Klasse an den Start, da sitzt man vorn am Steuer und lenkt nicht mehr von hinten am Motor. „Ich fand das vorher schwieriger, das Boot zu steuern“, sagt der Schlauchbootmeister. Und zeigt gleich, dass er’s in der neuen Klasse auch schon kann.

Vorsichtig anfahren, dann mehr Gas geben. Richtung Boje, bloß keine berühren, das gibt Minuspunkte. Nun den Rettungsring beim Mann-über-Bord-Manöver zentimetergenau auf einem Stab ablegen. Schließlich im Rückwärtsgang durchs Tor: geschafft. „Dafür braucht man viel Gefühl“, sagt Christopher, der schon in früher Kindheit mit den Eltern segelte. Trotz seines Talents mag der Schüler der Berthold-Brecht-Oberschule später aber nicht Rennbootprofi werden. „Ich will lieber Industriemechaniker lernen.“ Andere zeigen mehr Ehrgeiz. Über 150 Berliner Kinder trainieren Schlauchbootslalom regelmäßig im Verein. Und auch immer mehr Schüler kommen mehrfach in der Woche raus zum Training ins Wassersportheim, Alt-Gatow 5-7. „Wir bieten Berliner Schulen an, das bei uns mal auszuprobieren“, sagt der Landestrainer. Und das Training auf der speziell ausgewiesenen Fahrstrecke ist gratis. Möglich machen dies die vielen Ehrenamtlichen, Eltern wie Jennifers Mutter Sabine, die als Zeitnehmerin hoch über dem Wasser thront, oder Väter wie Wolfgang Schulz.

Nun hofft der Motoryachtverband darauf, dass sich auch die Senatsumweltverwaltung vom Wirken der Eltern im Hintergrund überzeugen und von den lärmgedämpften Motoren der Boote nicht schrecken lässt. Eine zusätzliche Rennstrecke wünschen sich die Vereine nämlich, im östlichen Teil der Stadt, in Treptow an der Oberspree. Aber das kann dauern. „Ich musste die Formulare mit achtfachem Durchschlag einreichen“, sagt Landestrainer Gleffe. Das Wasser- und Schifffahrtsamt sieht seiner Auskunft nach keine Probleme. So laden die Schlauchbootler dieses Jahr zu den Berliner Meisterschaften am letzten Augustwochenende nach Gatow. Kapitänen wie Jennifer sind die Papierkriege der Erwachsenen relativ egal – solange sie hier mit Blick auf den Grunewaldturm trainieren kann. Aber Moment, sie muss jetzt mal kurz unterbrechen. Denn eines der Mädchen, denen sie gerade hilft, hat Probleme mit den seemännischen Knoten. Klampe belegen? Palstek? Webeleinenstek – wie ging das gleich nochmal? Jennifer weiß Bescheid. Und das Mädchen weiß genau, wie sie ihre Kenntnisse am besten weitergibt. „Wenn ich was sage, hören die anderen eher zu, als wenn ein Erwachsener was erklärt. Freundinnen vertraut man ja mehr.“ Elf Jahre alt, aber schon mit allen Wassern gewaschen.

Lehrer, Eltern und Erzieher wenden sich für weitere Informationen und wegen eines Gratis-Probetrainings an den Landestrainer im Schlauchbootslalom, Hans-Joachim Gleffe, mit den Rufnummern (030) 40913778 und (0160) 96809999. Die Trainingsstrecke auf der Havel befindet sich Alt-Gatow 5-7.

Annette Kögel

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