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Berlin: Mit dem Panzerkreuzer von der Friedrichstraße zum Trafalgar Square

Das britische Pop-Duo Pet Shop Boys spielt in Berlin seine neue CD ein: die Musik zu Sergej Eisensteins Revolutionsepos, dessen Erfolgsgeschichte in einem Kreuzberger Varieté begann

„Während die anderen Berliner Kinos zu dieser frühen Stunde geschlossen sind oder vor sehr wenigen Zuschauern spielen, stauen sich hier Autos, Schutzleute, Gaffer. Der Film ,Panzerkreuzer Orlow‘ ist schon sechsunddreißigmal gezeigt worden, viermal jeden Tag, sechsunddreißigtausend Berliner haben ihn gesehen. Dennoch sind die Leute erregt, als führte man ihnen heute zum ersten Mal etwas vor, worauf die Welt wartet.“ Es war alles andere als erfunden, was Lion Feuchtwanger 1930 in seinem Roman „Erfolg“ geschildert hatte. Hinter dem „Panzerkreuzer Orlow“ stand ein Kapitel Berliner Filmgeschichte: „Panzerkreuzer Potemkin“. Nicht in Moskau oder Leningrad nämlich, sondern in einem ehemaligen Kreuzberger Varietétheater wurde 1926 der Welterfolg des Revolutionsepos begründet.

So ist es nur gerecht, dass in diesen Tagen in Berlin ein neuer Soundtrack des Stummfilmklassikers von Sergej Eisenstein eingespielt wird. Das britische Pop-Duo Pet Shop Boys hat sich ein hiesiges Studio ausgesucht, um bis Freitag mit den Dresdner Sinfonikern eine CD mit ihrer Musik zu Eisensteins Werk aufzunehmen. Den genauen Ort wolle das Duo nicht preisgeben, auch eine Pressekonferenz werde es nicht geben – eine Woche reiner Studioarbeit also, wie Sven Helbig mitteilte, einer der beiden Gründer des auf zeitgenössische Musik spezialisierten Orchesters und zugleich Produzent der CD. Ein Datum für deren Veröffentlichung stehe noch nicht fest, möglicherweise werde zunächst eine Single ausgekoppelt. Fans der Pet Shop Boys können sich aber den 12. September, 20.30 Uhr, vormerken: Auf dem Trafalgar Square in London werden Neil Tennant und Chris Lowe bei freiem Eintritt ihr Werk bei einer Filmvorführung vorstellen.

Den Auftrag für ihre Komposition, die neben orchestralen Stücken auch einige Songs enthält, hatte das Duo vom Londoner Institute of Contemporary Arts erhalten. Der Kontakt zu den Dresdner Sinfonikern kam indirekt über die deutsche Band Rammstein zustande. Der deutsche Komponist Torsten Rasch hatte im Vorjahr zu deren Texten Orchesterfassungen erstellt und mit den Dresdner Sinfonikern die hoch gelobte CD „Mein Herz brennt“ eingespielt. In einer britischen Zeitschrift waren Neil Tennant und Chris Lowe auf die CD aufmerksam geworden und hatten Rasch und Helbig nach London eingeladen, um über ihr Eisenstein-Projekt zu sprechen. Rasch arrangierte die Stücke für Orchesterbegleitung, Helbig wurde als Produzent gewonnen, brachte die 26 Sinfoniker ins Spiel und empfahl Berlin als Produktionsort. Dort hatte er unter anderem „Mein Herz brennt“ aufgenommen, aber es sei nicht schwer gewesen, die Pet Shop Boys zu überzeugen, die selbst mehrfach hier produziert hatten. Trotz der orchestralen Begleitung werde die CD eher Pop als Klassik werden.

Erfahrung mit Filmmusik hat das Duo bislang nur wenig, wie Tennant gegenüber dem britischen „Guardian“ sagte. Zwar habe man für Stephen Frys „Bright Young Things“ einen Song geschrieben, der aber nicht verwendet wurde. Umgekehrt hätten Regisseure wie Derek Jarman Kurzfilme für die Shows der Band gedreht. Tennant findet es interessant zu erleben, wie Musik die Wirkung eines Films beeinflussen kann. Sie hätten sich für einen modern klingenden Sound zu dem Film aus den 20ern entschieden. „Wir haben ihn sorgfältig studiert, mit ausgeschaltetem Klang, so dass er vollkommen frisch wirkte.“ Drei Songs werde es geben, die Texte seien inspiriert durch die Zwischentitel. Den Soundtrack zu einem Stummfilm zu schreiben, sei großartig, „weil du 73 Minuten Freiraum hast – eine völlig freie Tafel“. Beim Auftritt auf dem Trafalgar Square wird Chris Lowe Keyboards spielen und Neil Tennant singen. Der Ort erscheint den beiden wegen seiner politischen Geschichte ideal, wie Tennant sagt. „Wenn solch eine Sache je in England stattfindet, dann dort.“

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