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Berlin: Mit dem Schmerz leben

Rheuma ist nicht nur eine Alte-Leute-Krankheit. Max bekam es schon mit 17. Für diese Geschichte hat er weder Nachnamen noch Gesicht. Keiner soll wissen, wie krank er ist

Er hat immer so getan, als sei alles ok, und er hofft, dass die Ärzte es irgendwann auch wirklich in Ordnung bringen. Bis dahin wird er weiter lügen und Geschichten erfinden, wenn der Tag wieder mal so schlecht ist, dass er im Bett bleiben muss.

Max hat Rheuma. Max ist 22. Für diesen Artikel hat er weder Nachnamen noch Gesicht. Max hat Angst, dass er keinen anständigen Job bekommt, wenn jeder weiß, wie krank er ist. Er sagt: „Mit Rheuma wird man nicht ernst genommen.“ Rheuma bedeutet, langsam zu sein, Rheuma, das assoziieren die Menschen mit Lähmung, nicht mit Leistung. Max braucht aber einen Job, bei dem er sitzen kann, wegen der Krankheit, und einen, mit dem er Geld verdient; deshalb studiert er Betriebswirtschaft. „Bei dem, was da heute los ist in der Gesundheitspolitik“, sagt er, „wer weiß, was da noch kommt.“ Für die besten Medikamente müsse man meist dazubezahlen. Max muss seine eigene Krankenversicherung sein.

Mehr als 100 Erkrankungen werden unter dem Namen Rheuma zusammengefasst – und es sind gefährliche dabei, wie die von Max. Immerhin zehn Prozent gehören zur entzündlichen Sorte, zu der, die Gelenke, Sehnen, Knochen förmlich auffrisst. Die sogar Organe angreifen, Lungen vernarben oder Augen entzünden kann. Aber der Ursache ist noch niemand auf die Spur gekommen: „Warum Zellen plötzlich beginnen, krebsartig zu wuchern, das ist uns immer noch völlig unbekannt“, sagt Helmut Sörensen, Präsident der Deutschen Rheuma-Liga Berlin und Max’ Arzt. Vielleicht sei Rheuma vererbbar. Oft breche es aber auch nach einer Infektion aus, eine Bronchitis könne da schon reichen.

Was man weiß: 800 000 Menschen leiden in Deutschland allein an der meistverbreitetsten Form, der chronischen rheumatoiden Arthritis. Die meisten sind über 40. Aber Rheuma bekommen auch junge Leute, manchmal sogar Kinder.

Gerade jetzt ist der rechte Daumen geschwollen und tut weh. Es ist ein stechender Schmerz. Max sitzt auf einer Bank am Spielplatz in der Nähe des Hauses, wo er mit seinen Eltern wohnt, und der Wind zaust die dunklen Locken. Max ist ein hübscher Junge mit einer ruhigen, leisen Stimme. Vor fünf Wochen habe er kaum gehen können, sagt er, aber jetzt wirkt die neue Infusionstherapie. „Biologicals“ heißen die Medikamente, die nur die bekommen, die alles andere schon probiert haben. Die teuer sind: 28 000 Euro im Jahr. Und die die Kassen nicht immer zahlen. Biologicals sind Antikörper gegen jene Botenstoffe, die die Entzündungen auslösen. Es sind Eiweiße, die der Körper als fremd wahrnimmt, und damit er sie nicht angreift, muss Max auch Mittel schlucken, die sein Immunsystem unterdrücken. Manche Rheumamittel sind harte Krebsmedikamente.

„Bei Rheuma zerstört der Körper sich selbst“, sagt Max.

Angefangen hatte es 1999, im rechten großen Zeh. Da war Max 17. Der Zeh ist eines Morgens rot und dick und tut so weh, dass Max nicht mehr auftreten kann. „Ich dachte, ich hätte den im Schlaf wo gegengerammt“, sagt Max. Doch es wird nicht besser. Mit seinen Eltern geht er ins Krankenhaus. Er wird geröntgt, bekommt Antibiotika. Die Ärzte sagen: Entweder das hilft oder es wird was richtig Schlimmes.

Fast eineinhalb Jahre brauchen Rheumatiker im Schnitt, bis sie beim Experten landen – junge Leute oft noch länger.

Max geht weiter zur Schule, aber da ist jetzt nichts mehr wie vorher. Er kann nicht mehr rennen, Treppen sind ein Problem, und manchmal denkt er, die Medikamente machen ihn matschig im Kopf. Einigen Mitschülern sagt er, dass er Rheuma hat. Sie lachen, Rheuma mit 17! Dann muss Max seinen Leistungskurs wechseln. Er hatte Sport. Er sagt, der Lehrer habe gespottet: Sport-Leistung und nicht mal gehen können… Max wechselt in den Grundkurs, wirft ein paar Körbe und lügt der Lehrerin vor, er habe eine Sehnenscheidenentzündung. „Eine Zwei habe ich dafür immer noch gekriegt.“ Wenn er über den Schulhof geht, konzentriert er sich auf jeden Schritt, aber er geht ohne Hilfe. Auch zu den Partys geht er. Er steht dann an der Wand. „Bei denen, die zu cool waren zum Tanzen.“

Die Krankheit breitet sich aus. An der Achillessehne hat Max plötzlich eine tischtennisballgroße Entzündung. Im Krankenhaus zeigen sie ihm ein Röntgenbild seiner Füße: an den kleinen Zehen gar kein Gelenk mehr, nur Splitter. In dieser Zeit beginnt es, dass er alte Leute anders ansieht. Er kennt ihre Schmerzen, kann am Gang ahnen, wo es ihnen weh tut. Er hat ein Altersgefühl, jetzt.

Aber Mitleid will Max nicht. Er fragt nicht nach einem anderen Prüfungstermin, wenn er vor Schmerzen nicht lernen konnte, weil er dem Dozenten seine Krankheit nicht verraten will. Er meldet sich nicht bei der Rheuma-Liga, wo sich eigens geschulte Berater um junge Leute kümmern. Gehhilfen lehnt er ab. „Psychologische Runterzieher“, nennt er sie. Verdrängung? Mut? Wohl beides. Max hat sich einen Alltag gemacht, der funktioniert. An seinem Institut gibt es Fahrstühle, er hat eine Freundin und ein tiefergelegtes Auto. Rheuma ist für Max kein Endzustand. Er wartet darauf, dass die richtige Medizin kommt, die ihn gesund macht.

Bis dahin hilft er sich selbst. Trainiert die Gelenke auf dem Hometrainer, entwickelt seine eigene Diät – ohne tierische Fette, „die fördern Entzündungen“. Nie wieder Salami. Er braucht Omega-3-Fettsäuren, die sind in Fisch. Er trinkt nur fettarme Milch. Und ganz selten isst er mal ein bisschen Hühnchen. Max findet, dass seine Diät hilft. Wer fragt da nach wissenschaftlichen Beweisen?

Wenn Max morgens aufwacht, scannt er seinen Körper: Wo tut was weh? Dann bewegt er die Gelenke, dann rollt er sich aus dem Bett. Er muss Schwung nehmen, als er nach dem Gespräch von der Bank aufsteht. Einen Behindertenausweis hat er nicht. Der würde ihm Vorteile bringen. Aber wenn er ihn hätte, müsste er ihn auch zeigen. Womöglich, wenn er sich um einen anständigen Job bewirbt.

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