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Berlin: Mit der Straßenbahn ins Haushaltsloch

Strausberg ist zahlungsunfähig – nachdem es die Finanznot lange nicht ernst nahm. Aber die Tram fährt schon morgens um vier

Die Wellen des Straussees plätschern leise gegen das Ufer. Im Café „Kunze“, im Restaurant „Zur Fähre“ und im „Kaffee Kirsche“ stöhnen die Ausflügler über die Mittagshitze. Ist Strausberg anzusehen, dass es pleite ist? Nicht auf den ersten Blick, nicht an diesem Sonnentag. Die Häuser auf der Großen Straße, der Einkaufsmeile, sind frisch gestrichen, die Plattenbauten in der einst für Mitarbeiter des DDR-Verteidigungsministeriums gebauten Vorstadt saniert. Am Kiosk, an der Lottostelle und beim Bäcker ist das Finanzdesaster der Stadt kein Thema. An die schlechten Meldungen haben sich die Strausberger längst gewöhnt.

Und die letzte halbwegs gute Nachricht hilft auch nicht wirklich weiter. Wie am Sonnabend berichtet, hat der Bundesgerichtshof der Stadt ein wenig Luft verschafft: Sie muss vorerst nicht 1,2 Millionen Euro Schadensersatz an die geprellten Alteigentümer des ehemaligen jüdischen Kaufhauses London in der Großen Straße zahlen, die nach der Wende einfach übergangen worden waren. Stattdessen muss sich das Oberlandesgericht noch einmal mit dem Fall befassen. Wenn die Stadt aber irgendwann doch zahlen muss – dann dürften es ein paar hunderttausend Euro werden. Und Strausberg hat heute schon kein Geld mehr in der Kasse. Es ist an einem Punkt angelangt, von dem selbst das heillos überschuldete Berlin noch um einiges entfernt ist.

„Zahlungsunfähig“ – die Stadtkämmerin Elke Stadeler hat das harte Wort in der vorvergangenen Woche ausgesprochen. Bürgermeister Hans Peter Thierfeld (parteilos) ist der Begriff gleichwohl immer noch sichtlich unangenehm. „Wir sind an der Schmerzgrenze“, sagt er lieber. Das bedeutet: Das Konto der 26 000-Einwohner-Stadt östlich von Berlin ist mit fast sechs Millionen Euro überzogen, der gesetzlich zulässige Kreditrahmen komplett ausgereizt. Seit drei Monaten kann die Kämmerin die gesetzlichen Zahlungsverpflichtungen an den Landkreis – insgesamt rund 1,3 Millionen Euro – nicht mehr überweisen. Einige der rund 300 städtischen Beschäftigen bekamen ihre Gehälter später als sonst. „Wir können uns nur noch leisten, wozu wir gesetzlich verpflichtet sind“, sagt Thierfeld. Die rund 200 Vereine der Stadt bekommen deshalb kein Geld mehr. Der Präsident des größten Sportclubs fürchtet schon, Trainingsstätten schließen zu müssen. Und die Kämmerin muss jede einzelne Ausgabe einzeln genehmigen – selbst die Druckerpatrone für das Büro des Bürgermeisters.

Viele Wimpel und Urkunden hängen dort. Thierfeld – ein großer Mann mit Vollbart und Brille – erklärt die Sparpläne der Stadt. Alles, wirklich alles steht zur Disposition: die großen Brocken – wie die Löhne, die Bibliotheksmiete, die Straßenbahn, die Sportförderung – ebenso wie die ganz kleinen Brocken – zum Beispiel die Glückwunschkarten für die Jubilare der Stadt oder die Straßenbeleuchtung zur Weihnachtszeit. Eine halbe Million Euro wollen die Stadtverordneten in diesem Jahr sparen. Ihr Bürgermeister hofft, dass die Stadt bis 2007 ihre Probleme gelöst hat.

Im Mai vergangenen Jahres wurde der ehemalige Soldat und Unternehmer an die Spitze der schon damals hoch verschuldeten Stadt gewählt. Über seine Vorgänger will der 41-Jährige nicht schlecht reden. „Strausberg hat nicht über seine Verhältnisse gelebt“, sagt Thierfeld. „Wir sind auch kein Einzelfall. Selbst 38 Prozent aller bayerischen Kommunen haben keinen ausgeglichenen Haushalt.“

Die Kämmerin Elke Stadeler kann das nicht trösten. Sie muss ein, wie sie sagt, „kollabierendes System“ verwalten, ins Wanken gebracht von den Gewerbesteuereinbrüchen vor drei Jahren. Vier Millionen Euro zahlten die Gewerbetreibenden 1999 an die Stadtkasse, ein Jahr später nur noch 400 000. Ein riesiger Schuldenberg begann sich aufzuhäufen. Zugleich sanken die Zuweisungen aus der Landeskasse. „Das Land lässt uns im Stich“, sagt Bürgermeister Thierfeld.

Dass es den Gewerbetreibenden nicht gut geht, sehen Besucher des Städtchens beim ersten Rundgang. Am oberen Ende der Einkaufsstraße stehen die Geschäfte leer. Das Gewerbegebiet ist größtenteils verwaist. „Wir sind eine Oma-Stadt“, sagt ein Taxifahrer. Er wundert sich wenig über die Finanzmisere. „Aber wie immer“, sagt er, „will es mal wieder niemand gewesen sein.“

Tatsächlich fühlt sich in Strausberg kaum jemand verantwortlich. Die PDS nicht, die stärkste Fraktion im Stadtparlament, und die zweitstärkste Fraktion, die SPD, auch nur recht verhalten. Allein die oppositionelle CDU beklagt den Luxus, den die Stadtverordneten ihren Wählern allzu lange gegönnt hätten. „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse“, sagt CDU-Stadtchef Udo Lungwitz. „Die Pleite war abzusehen.“ Längst hätte zumindest eine der drei Grundschulen geschlossen werden müssen. Die Schülerzahl sei seit der Wende um 60 Prozent gesunken. Die Stadt hätte 230 000 Euro im Jahr sparen können. „Doch die Verwaltung ist vor dem Widerstand der Eltern eingeknickt“, sagt Lungwitz.

Auch an die Personalkosten traute sich lange kaum jemand heran. Dabei liegt Strausberg bei seinen Personalausgaben im Vergleich mit anderen Brandenburger Kommunen immer noch auf einem der vorderen Plätze. Immerhin plädieren inzwischen alle drei großen Fraktionen für drastische Kürzungen – sei es über Gehaltskürzungen oder weiteren Stellenabbau.

Lungwitz ist das nicht genug. Warum muss die Straßenbahn, auf die die Strausberger so stolz sind, von morgens um vier bis nachts um halb eins fahren? fragt er. Und: Warum leistet sich die Stadt zwei Mitarbeiter für ein Heimatmuseum, das nach CDU-Zählungen keine zehn Besucher in der Woche hat?

Überhaupt kein Verständnis hat Lungwitz auch für die üppige Förderung der Strausberger Vereine. Nicht nur er, auch sein Fraktionschef. Horst Fröhlich drückt es diplomatisch aus: „Wir haben unsere Vereine sehr großzügig behandelt.“ 108 000 Euro erhielten die Sportvereine im vergangenen Jahr, 70 000 die Schwimmer, 80 000 die Jugendvereine, 15 000 die Kulturvereine und 10 000 die Sozialvereine. Kein Verein habe die Betriebskosten der genutzten Gebäude zahlen müssen, einige nicht mal Miete, klagt die CDU. „Strausberg, die frühere ,Hauptstadt der NVA‘, war schon immer großzügig mit Armeesportclubs und Kulturvereinen ausgestattet“, sagt Fröhlich. „Wir sind es gewohnt, dass immer alles umsonst war.“

Wegen der Sitzverteilung im Parlament änderte sich daran auch nichts, als das Geld weniger wurde. Der ehemalige Präsident des fast 2000 Mitglieder starken Kultur- und Sportclubs war Mitglied in der Stadtverordnetenversammlung, der Präsident des Kreissportbundes auch. Die hätten „knallharte Lobbypolitik“ gemacht, sagt Lungwitz.

„So kann man das nicht sehen“, wehrt sich PDS-Fraktionschef Meinhard Tietz. Und verweist auf die Erfolge der Strausberger Sportler: Teilnahme an der letzten Schwimm-Europameisterschaft. Und Sieg bei der Weltmeisterschaft der Fanfarenzüge.

Frauke Herweg

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