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Berlin: „Mit Druck allein schafft man es nicht“

PDS-Senatorin Heidi Knake-Werner will auf dem Berliner Integrationsgipfel den Einwanderern neue Angebote machen

Welche Sprache wird im Jahr 2020 auf der Hermannstraße dominieren?

Deutsch. Das ist notwendig, wenn uns die Integration gelingen soll. Wobei die Stadt auch Mehrsprachigkeit sehr gut brauchen kann. Wenn sie eine internationale Metropole sein will, ist sie auf Internationalität und Interkulturalität angewiesen.

Ist die Sorge zum Beispiel des Neuköllner Bürgermeisters Buschkowsky vor „Segregation“ in manchen Bezirken berechtigt?

Die Konzentration von Migrantenfamilien in bestimmten Bezirken ist ein Problem. Doch es ist falsch, das zu stigmatisieren, indem man sagt: Das ist Segregation, das ist Parallelgesellschaft. Ich möchte in den Vordergrund stellen, dass wir genau das Zusammenleben in den Kiezen wollen. Und wir wollen dazu beitragen, dass es so etwas wie Selbstintegration gibt. Dazu muss man Räume schaffen und Angebote machen, damit der interkulturelle Dialog möglich ist, damit man sich treffen kann.

Aber liegt es an der sogenannten Mehrheitsgesellschaft, wenn sich zum Beispiel die türkische Bevölkerung in manchen Kiezen ihre ganz eigenen Strukturen schafft?

Ja, auch. Das ist oft eine Folge mangelnder Öffnung gegenüber anderen Kulturen. Die öffentlichen Einrichtungen müssen den hohen Anteil der Migranten im Blick haben, der andere Anforderungen und andere Vorstellungen von Unterstützung hat. Berlin ist eine Einwanderungsstadt. Und wir wollen unsere städtischen Angebote darauf ausrichten.

Tut man denn Einwandernden einen Gefallen, wenn man sie in der Haltung bestätigt, dass der Staat für sie und ihre Familien nicht genug tut? Wie kommt es, dass sich gerade die türkischen und arabischen Einwanderer hier viel schwerer tun als zum Beispiel Italiener oder Griechen, die vor drei Jahrzehnten gekommen sind?

Türken und Araber kommen aus anderen Kulturen, und deshalb gibt es ganz andere Brüche als bei Italienern oder Griechen, die als EU-Bürger privilegiert sind. Das fängt mit Glaubensfragen an und hört bei den Vorstellungen von der Lebensweise nicht auf. Außerdem haben gerade die türkischen Einwanderer am meisten unter den Wendefolgen in West- Berlin gelitten: Durch die Vernichtung der Industriearbeitsplätze hatten viele sehr lange hier lebenden Türken keine Perspektive mehr.

Kann Politik das kompensieren?

Das muss sie, und das braucht einen sehr langen Atem. Es sind sehr viele Defizite deutlich geworden, von den Kitas bis zur Berufsausbildung. In der Öffentlichkeit werden leider viel zu oft gewaltbereite Jugendliche wahrgenommen. Die große Mehrheit ist das aber gar nicht. Zu den Gewalttätigen muss man sagen: Die fühlen sich eben auch abgeschrieben und nicht akzeptiert.

Mit dieser Argumentation kann man auch den Frust von Neonazis in einer ostdeutschen Kleinstadt rechtfertigen. Gibt Perspektivlosigkeit das Recht, sich über Regeln des Zusammenlebens hinwegzusetzen?

Natürlich nicht. Wir legen Wert darauf, dass die Regeln eingehalten werden. Zu unserem Rechtsverständnis gehört Gewalt nicht und auch nicht, dass Männer ihre Frauen schlagen und dass Brüder ihre Schwestern erschießen. Doch haben bestimmte Verhaltensweisen auch Ursachen. Wir müssen uns fragen, wie es uns gelingt, diese Ursachen zu bekämpfen. Ein Großteil der jugendlichen Hauptschüler hat keine Perspektive. Da muss man doch ein Schulsystem ändern und längeres gemeinsames Lernen ermöglichen.

Gibt es für diese Jugendlichen die passenden Angebote?

Wir haben eine ganze Reihe spezieller Angebote – aber es ist eben auch nicht so leicht, dafür die Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Es ist nicht einfach, diese jungen Menschen wieder zu aktivieren und zu sagen: Du hast eine Chance, nutze sie.

Von Ihrem groß angekündigten Programm „1000 Jobs für Migranten“ hört man ja, dass es auf wenig Interesse stößt…

Ja, das ist unglaublich mühselig. Wenn die jungen Leute raus aus der Schule sind, ist es sehr schwierig, sie wieder zurückzuholen und für einen Neustart zu gewinnen. Deswegen setzt unser wichtigstes Programm auf die modulare Qualifizierung, die in der Schule beginnt und in die Berufsausbildung übergeht. Das hält die Leute bei der Stange, damit sie erst gar nicht in den Kreislauf von Frust und Perspektivlosigkeit geraten.

Wie erfolgreich sind diese Programme?

Sehr. 70 Prozent der Teilnehmer finden hinterher einen Anschluss in Ausbildung oder Arbeit.

Wie groß ist die Gruppe derer, die von solchen und anderen Maßnahmen nicht mehr zu erreichen sind?

Wir haben etwa 12 000 Altbewerber – junge Menschen, die länger als ein Jahr aus der Schule raus sind, ohne eine Ausbildung begonnen zu haben. Ein Großteil davon sind jugendliche Migranten. Auch für sie brauchen wir gezielte Programme zur Integration wie Kombilohnmodelle. Zurzeit haben wir um die 3000 solcher Maßnahmen. Da tun wir schon sehr viel, und es muss ein Schwerpunkt bleiben.

In Ihrem Integrationsprogramm betonen Sie die Chancen der Einwanderung, sprechen von großen Ressourcen. Worin sehen Sie die größten Chancen?

Da geht es uns wie Paris oder London: Eine Stadt wie Berlin muss auf internationale Bevölkerung setzen. Die Unternehmen, die sich hier ansiedeln, arbeiten international. Da haben qualifizierte Migranten gute Chancen. Außerdem haben wir gerade in Berlin eine ethnische Wirtschaft, die sich sehr gut entwickelt. Es gibt sehr viele Unternehmen, die von Migranten gegründet und geführt werden – die allerdings noch zu wenig ausbilden, auch weil es ihnen mit zu hohen bürokratischen Hürden verbunden scheint. Oder nehmen wir das Thema demografischer Wandel und älter werdende Gesellschaft: Alle Dienstleistungen rund um das Älterwerden brauchen Interkulturalität und Vielfalt, verschiedenen Sprachen und kulturelle Hintergründe. Da eröffnet sich ein großer Markt. Auch in den Schulen, bei der Feuerwehr und generell im öffentlichen Dienst bräuchten wir viel mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Das wird auch eine der Forderungen sein, die wir in dem nationalen Integrationsplan erheben, an dem ich gerade mitarbeite und den die Bundeskanzlerin im Juli vorstellen will. Da werden wir fordern, dass der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit Migrationshintergrund ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen soll.

Woran hapert es bisher?

Wir haben mit einer Kampagne darum geworben, dass sich mehr Migranten für Ausbildungsplätze im öffentlichen Dienst bewerben. Das Interesse war im Unterschied zum vergangenen Jahr diesmal schon viel besser. Man merkt eben doch, dass noch enorme Anstrengungen von beiden Seiten nötig sind. Und von den Job-Centern hört man immer wieder, dass dort Jugendliche hinkommen, die sagen: Ich bin der Einzige in der Familie, der morgens aufstehen und arbeiten soll. Das sind Jugendliche, deren Eltern seit vielen Jahren keine Erwerbsarbeit aufnehmen konnten. Das sind wirkliche Integrationshürden.

Würde da mehr Druck helfen, also die Drohung, staatliche Leistungen zu entziehen?

Generell nicht. Natürlich gibt es Fälle, in denen man es nicht akzeptieren kann, wenn jemand kein Angebot annimmt. Aber mit Druck alleine schafft man das nicht.

Sie sind seit einem halben Jahr Integrationssenatorin, ein Amt, das es vorher so nicht gab. Was haben Sie bisher erreichen können?

Integration ist eine Querschnittsaufgabe, und die muss im Senat koordiniert werden. Und es ist wichtig, es mit den Aufgaben Arbeit und Soziales zu verbinden, weil dort die wichtigen Hebel für Integrationspolitik sind.

Was machen Sie konkret?

Wir haben jetzt das Integrationskonzept weiterentwickelt, in dem die wichtigsten Felder der Integrationspolitik mit konkreten Vorhaben unterlegt sind. Da legen wir Ziele fest und Kriterien, nach denen Erfolg oder Misserfolg der Maßnahmen bewertet werden können. Das ist eine neue Qualität und auch eine Selbstverpflichtung, was wir noch erreichen wollen, zum Beispiel die Bundesratsinitiative zur Einführung des kommunalen Wahlrechtes für Migranten. Am 22. Juni werden wir zudem den Berliner Integrationsgipfel veranstalten, eine Regierungskonferenz, die vom Regierenden Bürgermeister eröffnet wird und an der mehrere Senatoren und Migrantenvertreter teilnehmen sollen.

Was wird da passieren?

Wir werden die wichtigsten Handlungsfelder vorstellen und mit Vertretern von Migrantenorganisationen diskutieren. Dem Gipfel soll eine Veranstaltungsreihe folgen, die den Dialog fortsetzt. Denn Integration kann man nicht von oben verordnen, sondern das wächst von unten. Dafür wollen wir gute Rahmenbedingungen schaffen und gemeinsam Anforderungen an die Migranten formulieren. Wir wollen einen positiven Schub in die Integrationsdebatte bringen.

Wie?

In den verschiedenen Gemeinschaften gibt es eine enorme Bereitschaft, sich einzubringen. Das erlebe ich immer wieder bei meinen Gesprächen mit Migrantengruppen. Das ist auch eine Aufgabe für die Mehrheitsgesellschaft, diese Angebote zur Zusammenarbeit anzunehmen. Man wird nicht eine weltoffene Stadt, wenn man es nicht schafft, die hier lebenden Menschen mit heranzuziehen. Nehmen Sie als Beispiel die neuen Seniorenvertretungen, die in allen Bezirken gewählt wurden: Da gibt es nur einen einzigen Migrantenvertreter, der da hineingewählt wurde. Das müssen mehr werden.

Das Interview führten Werner van Bebber und Lars von Törne.

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