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Berlin: Mit einem Casting sucht der Radiosender r.s.2 heiratswillige Männer und Frauen, die sich vorher nie gesehen haben

Auf Geralds Stirn bilden sich feine Schweißperlen. Er steht genau unter einem Halogenstrahler.

Auf Geralds Stirn bilden sich feine Schweißperlen. Er steht genau unter einem Halogenstrahler. Perfekt ausgeleuchtet. Sein dunkler Anzug sitzt nicht besonders, der Schlips knistert. Ein 34-jähriges Kommunionkind. Wie denn seine Traumfrau aussieht? Nummer 29 antwortet nicht. Was er sonst so macht? "Ich gehe Videospielen nach." Gerald sucht eine Frau. Nicht ein Mädchen für eine Nacht, sondern für immer. Egal, was für eine. Irgendeine. Diese Absicht hat er mit den anderen 30 Desperados gemein, die sich im langen Flur des Hotel Schweizerhof herumdrücken und Interviews geben müssen. Manche genießen das, manche bekommen rote Flecken im Gesicht. Die sorgfältig geschminkten Hostessen werfen sich verschwörerische Blicke zu.

"Zwei Fremde - eine Hochzeit: Geben Sie das mutigste Ja-Wort der Welt", hatte der Privatsender r.s.2 seine Hörerinnen und Hörer aufgefordet. Ein Quoten-Renner soll das werden. Und das stellen sich die Radiomacher so vor: Aus den Bewerbern werden von einem Team aus Psychologen und Geistlichen anhand eines Fragebogens und persönlichen Gesprächen die beiden ausgesiebt, die nach Auffassung der Experten am besten zueinander passen. Die zwei Glückskinder sehen sich auf dem Standesamt zum ersten Mal. Bis zum Ja-Wort wird Blinde Kuh gespielt, von Home-Stories und Fernsehinterviews einmal abgesehen. Danach gibt es Party, Torte und Flitterwochen gratis. Millionen schniefender Hörer verfolgen das Spektakel an den Autoradios. Während anderswo noch Büstenhalter per Höreransage aufgemacht werden, ist man in Berlin schon längst unter der Haube. Nur Weicheier gehen noch zum Blind Date oder lassen sich vom Herzblatt-Hubschrauber in den Vorarlberg bringen. Die Bungee-Springer und Freeclimber unter den einsamen Herzen sollten sich zum Blind Wedding melden.

Komischerweise erscheinen zum Bräutigam-Casting Legastheniker mit neurodermitisch rauhen Mundwinkeln, Cowboys mit Häusern nicht nur in Kanada, Stotterer im verpusselten Troyer mit nix drunter, Männer mit schmierigem Grinsen und Übergewichtige mit Krawatten, auf denen sich nackte Frauen winden.

"Mich stört das überhaupt nicht, wenn sie noch ein bisschen Geld mit nach Hause bringen würde", sagt Torsten, der eine Baufirma in Wannsee hat. "Zuverlässig, treu, ehrlich, lieb, verständnisvoll. Was zum Repräsentieren. Diese Eigenschaften treffen selbstverständlich auch auf mich zu." Einen konkreten Frauentyp bevorzugt Torsten nicht. "Mal groß und blond. Im Moment aber eher klein und dunkel." André hat seinen Fragebogen fertig ausgefüllt. "Ich will einen Partner, sonst gar nichts." Sein langes, hellrotes Haar versteckt er zum Zopf gebunden unter einem Hut mit silberfarbenen Beschlägen. Über seine Vergangenheit möchte er nicht sprechen. In Berlin wird jede zweite Ehe geschieden, selbst das schreckt ihn nicht.

Die Quoten-Frauen, die gegenüber im Hotel Intercontinental die gleiche Prozedur über sich ergehen lassen, drängen sich kichernd in einer Ecke aneinander. Sie sind größtenteils jung und größtenteils hübsch. Ihre Haare glänzen auffallend, frische Strähnchen überall.

"Es gibt nichts Schlimmes, was passieren könnte", behauptet die 21-ährige. "Aussehen", sagt sie wie aus der Pistole geschossen, "spielt keine Rolle." Sie findet die Vorstellung, einen Unbekannten zu heiraten, äußerst romantisch. "Ich such mir zwar nicht selber den Mann aus, sondern den Weg, wie ich ihn kennenlerne. Und der Weg ist das Ziel." Nadine hat volles Vertrauen in das Team aus Geistlichen und Psychologen - Zwei Kinder sollten schon sein. Eine Ehe ist für sie normalerweise das "i-Tüpfelchen" auf einer Beziehung. Die Rechtsanwaltsgehilfin geht gern zum Paartanz. Auch Inge, die gleich mit Töchterchen Tina erschienen ist, will mehr Nachwuchs. "Ich hab soviel Spielzeug, das könnte ich teilen", sagt Tina, sechs Jahre alt. Das Stofftier unter ihrem Arm, die Auto-Katze, wird sie vermutlich nicht hergeben. Handwerklich talentiert soll er sein, nett, freundlich und natürlich familientauglich. Die Ostsee-Dauercamperin glaubt seit ihrer Scheidung vor zwölf Jahren nicht mehr an Märchen. Sie ist 41 und gibt zu, Annoncen aufgegeben zu haben. Ohne Erfolg, gemeinerweise.

Michael Weiland, Sprecher des Radiosenders, hält den Fragebogen geheim. "Wir haben auch witzige Sachen dabei, zum Beispiel: Haben Sie sich jemals einer Geschlechtsumwandlung unterzogen?" Eine Pause entsteht. Geschlechtsumwandlung, ja, warum eigentlich nicht? Ob r.s.2 denn auch die Scheidung bezahle, will jemand wissen. Weiland gibt sich optimistisch. "Das wird nicht notwendig sein." Er hatte 500 Bewerber versprochen. Gekommen ist nur ein Bruchteil. Wenn kein Paar gefunden werde, müsse man die Geschichte eben abblasen. "Wir haben den Nerv der Stadt getroffen - in Berlin leben 600 000 Singles und es ist Winter."

Auf der anderen Straßenseite, schräg gegenüber, ist der Troyer an der Reihe, die Fragen zu beantworten. "Haben Sie Humor?", fragt die Hostess und bemüht sich um ein gewinnendes Lächeln. Für einen Augenblick ringt der dürre Blonde im Seemannspullover mit sich. Dann stottert er: "Humor ist, wenn man trotzdem lacht."

Esther Kogelboom

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