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Pastorin Christine Schlund geht auch mal in die Hocke, wenn sie den Kindern der Sophien-Kita die Geschichte des Adventskranzes erzählt – auf Augenhöhe.

© Doris Spiekermann-Klaas

Mit einer Pfarrerin im Advent unterwegs: Stress für die Besinnlichkeit

Pfarrer haben in der Weihnachtszeit so viel zu tun wie selten. Wie bewältigt Pastorin Christine Schlund von der evangelischen Sophienkirche in Mitte den Endspurt bis zum 24.?

Freitagvormittag, kurz nach zehn, geht Christine Schlund im Spielzimmer der Sophien-Kita in die Knie. Robbt wie eine Indianerin zu zwei Vierjährigen, die am Boden hocken und flüstert ihnen etwas ins Ohr. Stille Post. Fix geht die Botschaft herum im Kreis der 30 Kinder, die sie umringen. „Was sagt der Engel zu Maria? Du bekommst ein Baby!“ – „Meine Mama kriegt noch mehr“, ruft da ein Junge dazwischen, „Zwillinge“.

Über die Gesichter der Kinder im dämmerigen Raum huscht Kerzenschein. Adventsandacht in der Kita der evangelischen Sophienkirche in Mitte. Das ist einer der Lieblingsjobs von Pastorin Christine Schlund in diesen ansonsten für sie ziemlich hektischen Tagen. Ihr Terminkalender ist vollgepackt seit dem Start der Adventszeit. Jetzt beginnt gerade ihr Endspurt bis zum Vierundzwanzigsten.

Sie erzählt vom ersten Adventskranz im "Rauhen Haus"

Da ist die Andacht in der Kita für die 49-jährige Pfarrerin ein bisschen Seelen-Wellness. 16 Teelichter und vier rote Kerzen flackern vor den Kindern auf einem hölzernen Ring. Warum so viele und ganz ohne Tannengrün? „So sah der allererste Adventskranz auf der Welt aus, den Johann Hinrich Wichern vor fast 180 Jahren für seine Waisenkinder im „Rauhen Haus“ erfand“, erzählt Christine Schlund. „Tag für Tag wurde eine neue Kerze angezündet, damit es jedes Mal ein wenig heller wird bis Weihnachten.“ Wie viele Kerzen brennen noch nicht auf dem Kranz der Sophien- Kita? „Acht“, zählen die Kinder. Und dann? „Gibt’s Geschenke.“

Von früh bis spät wirbelt die Pastorin herum

Advent – das ist traditionell die Zeit der Hoffnung auf mehr Licht dank der Wintersonnenwende. Denn vom 21. Dezember an werden die Tage langsam wieder länger. Das leuchtende Vorspiel inszenieren die Berliner gerade in ihren Straßen – mit Lichterketten- und Bögen und Herrnhuter Sternen. In der nordischen Mythologie war der Wendepunkt der Sonne ein Zeichen für neues Leben und Auferstehung. Christen freuen sich über das Licht, weil es mit Jesu Geburt als Symbol der Hoffnung in die Welt gekommen ist.

Doch egal, wie man den Advent erlebt. Pastorin Schlund hat gerade mal wieder den Eindruck, dass viele Menschen in diesen Tagen zumindest ein Gefühl eint: „Sie sehnen sich nach Besinnlichkeit“ – bei allem Vorweihnachtsstress. Schon die Adventsgottesdienste seien gut besucht gewesen, besser als viele Andachten unterm Jahr.

Also, bitteschön, mehr Service zur seelischen Sammlung, zum Insichgehen. Das wird nun von Berlins Seelsorgern erwartet. Aber wie managt man Besinnlichkeit? Am besten, indem man wie Christine Schlund von früh bis spät herumwirbelt. Advent, Advent, die Pfarrerin rennt.

Die Sophienkirche in Mitte hat Berlins einzigen barocken Kirchturm.
Die Sophienkirche in Mitte hat Berlins einzigen barocken Kirchturm.

© Doris Spiekermann-Klaas

Im Juni 2016 hat sie die Pfarrstelle in der Spandauer Vorstadt unterm Turm von Berlins einzigem barocken Gotteshaus, der Sophienkirche, übernommen. Zehn Jahre war sie zuvor Pastorin in der altehrwürdigen Sankt Nikolaikirche der Spandauer Altstadt. Die evangelische Gemeinde am Weinberg, zu der – neben der Sophienkirche – auch die Golgatha- und Zionskirche mit zwei weiteren Pfarrstellen gehören, spiegelt den Bevölkerungswandel in Mitte wieder. Sie ist ungewöhnlich jung, nur etwa neun Prozent der rund 8500 Mitglieder sind über 65 Jahre alt, es gab 2016 nur 17 Beerdigungen, aber mehr als 110 Taufen.

Christine Schlund, graumelierte wellige Haare, weiß gepunktetes schwarzes Kleid, denkt mit einem Schmunzeln an ihren Einzug ins Pfarrhaus an der stillen Sophienstraße zurück. Vom Balkon blickt sie auf den Kirchpark unter alten Bäumen. Als die Familie hier ersten Möbel rückte, fragte ihre 16-jährige Tochter Magdalena gleich: „Welchen Platz bekommt denn unser Christbaum?“

Es ist der Zauber der Weihnachtsbräuche, der sie beflügelt

Es ist der Zauber dieser Weihnachtsbräuche, an denen auch viele Teenies hängen, es sind diese irgendwie magischen Momente, die Christine Schlund beflügeln, wenn sie von Advents- zu Adventsfeier eilt und ihre To-Do-Liste abarbeitet. Vergangenen Woche feierte sie mit den Senioren im Kieztreff, in der Diakoniestation, im Seniorenwohnhaus, mit Helfern eines Besuchsdienstes, begleitete eine „Lichterfahrt“ nach Potsdam, nahm am Schulgottesdienst der Evangelischen Grundschule teil, sang Adventslieder mit den Aktiven der Koepjohannschen Stiftung, die sich um Frauen und Kinder kümmert. „Es kommt ein Schiff geladen“ stimmten sie zuallererst an. Stifter Johann Koepjohann war im 18. Jahrhundert ein reicher Berliner Schiffsbauer.

Pfarrer sind jetzt im Stundentakt Redner, Sänger, Philosophen, Animateure

Wenn Christine Schlund auf dem roten Ledersofa in ihrem Arbeitszimmer von alledem erzählt, gerät der leuchtend rote Seidenschal an ihrem Hals vor lauter Temperament ins Rutschen. Am liebsten thematisiert sie bei solchen Feiern Brauchtum, christlichen Symbole und überhaupt: Lebensfragen. Wer bin ich, wo stehe ich, was will ich? „Dafür haben viele Menschen jetzt besondere Sensoren“, sagt sie. „Auch jene, die keine Kirchgänger sind.“ Stimmt die Pastorin „Macht hoch die Tür“ an, fragt sie : „Was erwarten wir, wem wollen wir die Tür öffnen?“ Geht es ums Adventsthema „Warten“, bringt sie auch dieses facettenreich nah.

Klar, das alles setzt Planung voraus, sorgsame Vorbereitung – und jede Menge Talente. Im Advent ist Christine Schlund manchmal im Stundentakt Rednerin, Sängerin, Philosophin und Organisatorin, wenn’s um Absprachen fürs Krippenspiel oder musikalische Darbietungen geht. Sie ist Advents-Animateurin in der Sophien-Kita und – ganz wichtig: Zuhörerin. Sie rauscht bei einer Feier nicht rein und wieder raus, nein, sie bleibt zum Kaffee noch da „So kommt man ins Gespräch.“ Hört sie Sorgen, besucht sie die Menschen später Zuhause. Auch das stand vergangene Woche auf ihrem Stundenplan.

Sehnsucht nach alten Bräuchen: Weihnachtsmärkte wie hier am Schloss Charlottenburg sind in diesem Jahr besonders zahlreich und liebevoll gestaltet.
Sehnsucht nach alten Bräuchen: Weihnachtsmärkte wie hier am Schloss Charlottenburg sind in diesem Jahr besonders zahlreich und liebevoll gestaltet.

© imago/Thomas Lebie

Und natürlich der ganz normale Gemeindejob, den sie zwischendurch weiter erledigt. Verhandlungen zur laufenden Sanierung der Sophienkirche, Personalfragen, Treffen mit dem Gemeindekirchenrat, die Suche nach „Kirchenhütern“, die künftig am Eingang sitzen sollen, damit das Gotteshaus länger offenbleiben kann. Und zwischen kurz mal ein Frühstück mit Mitarbeitern auf Adventsstimmung trimmen. Alles abgehakt, in Gottes Namen.

Hat sich die Stimmung im Advent verändert, wenn sie auf die vergangenen Jahre zurückblickt? „Ja“, sagt Christine Schlund, „die Gesellschaft ist rauher geworden, polarisierter, vieles scheint in Frage gestellt.“ Das fordere die Menschen heraus, schüre Ängste, verlange auch von ihr, dass sie als als Seelsorgerin Probleme klar anspreche und dabei ein gutes Gleichgewicht finde zwischen „weihnachtlicher Emotionalität und Provokation“. Denn andererseits sehnen sich die Menschen gerade in einer solchen Situation nach alten Bräuchen und Geborgenheiten. Das beobachtet sie auf den Weihnachtsmärkten in Mitte, die in diesem Jahr besonders zahlreich und liebevoll vorbereitet sind.

Baut sie die Gräuel in Aleppo in ihre Weihnachtspredigt ein?

Es ist also ein Balanceakt, den Schlund auch für ihre Predigt am Heiligen Abend anstrebt. Baut sie die Gräuel in Aleppo in ihre Ansprache ein, wenn die Kirche, wie alle Jahre wieder, rappelvoll ist? „Natürlich. Man muss doch darüber reden, ob die Friedensbotschaft der Engel noch Sinn macht oder totaler Blödsinn ist.“ Doch eine solche Predigt muss gut durchdacht sein. Zwei Tage hat sie sich dafür kommende Woche reserviert. Aber die sind leider schon wieder „angeknabbert“ durch Bauabsprachen im Gemeindebüro.

Und am 24. ist sie dann dienstlich voll unterwegs. Ab 14.30 Uhr zwei Andachten mit Krippenspiel. 18 Uhr: die Christvesper. 23 Uhr die Christnacht. Zwischendurch, 19.30 bis 22 Uhr, das hat sie genau eingetaktet, feiert Christine Schlund im Kreise ihrer Familie Weihnachten. Packt ihre Geschenke von den drei Kindern und vom Ehemann aus. Macht denn ein solcher Stressjob überhaupt noch Spaß? Sie lehnt sich auf dem Sofa zurück. Ein Strahlen in den Augen. „Absolut. Das ist ein großartiger Beruf.“

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