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Berlin: Mit Geräusch verbunden

Sperrstunde im Freien ab 22 Uhr? Ein Haus- und Kneipenbesuch am Boxhagener Platz – dazu ein Pro & Contra

Die Anwohner

Ingeborg Beer und ihre Tochter wohnen erster Stock, Gärtnerstraße 12, schräg unter ihnen ist die Kneipe „bloona“. Die Frauen gucken gerade „Alphateam“. Die Geräusche aus dem Fernseher überschallen das Kneipengemurmel und das Knubbern des Reifengummis auf dem Kopfsteinpflaster. „Och ja, nee“, sagt Frau Beer, Rentnerin. Störend sei die Kneipe heute eigentlich nicht. Früher sei das schlimmer gewesen, als im „bloona“ noch Livemusik lief. Da haben sie Unterschriften gegen das „Jebummse“ gesammelt. Die Beers gehen auch nicht mehr so früh zu Bett. Kann vorkommen, dass sie um Mitternacht noch bei Käffchen und Zigarette in der Küche sitzen. Nur manchmal ziehe so ein „beißender Knoblauchgeruch“ durchs Fenster.

Im zweiten Stock, bei Herrn S., Diplomingenieur, sieht die Sache schon anders aus. Das Bett steht zur Straße raus, und Herr S. muss es werktags um 5.10 Uhr verlassen. Zwar lebe er nach vielen Beschwerden inzwischen in „friedlicher Koexistenz“ mit der Kneipe, aber gelegentlich ruft er doch noch die Polizei. Das tut ihm dann auch leid, weil er eigentlich einen guten Draht zum Wirt habe. Manchmal würden ja auch die Gäste eigenmächtig die Musik lauter drehen. Herr S. fühlt sich in seiner Lebensqualität schon beeinträchtigt, will aber nicht umziehen – wegen des günstigen Ostmietvertrags und weil er sich trotzig sagt: „Ich war zuerst hier.“ Gut fände er eine Sperrstunde für die Kneipenterrasse um 22 Uhr – wie in der Simon-Dach-Straße.

Studentin Claudia ist erst vor einem Monat in den dritten Stock gezogen und findet den Kneipenlärm „nicht so wild“. Wegen der netten Kneipen ist sie ja gerade hierher an den Boxhagener Platz gezogen.

Über ihr, im vierten Stock, wohnen schon seit 30 Jahren die Schröters. Vom „bloona“ kriegen sie hier oben kaum noch was mit, dafür schallt es häufiger vom „Feuermelder“ an der Ecke zur Krossener Straße rüber. Schlimmer finden es die Schröters, wenn auf dem Boxhagener Platz die Leute mit den „Buschtrommeln“ aktiv werden. Oder wenn sich die Studenten im Hinterhof am offenen Fenster unterhalten. „Das hallt dann so, weil die ja kaum Möbel in der Bude haben.“

Die Gäste

So um 22 Uhr sind alle Terrassenbänke im „bloona“ besetzt. Frank Künster, Filmproduzent, und Andreas Briel, Wissenschaftler, unterhalten sich in mittlerer Tonlage, so dass man schön mitlauschen kann, über Venture-Capital – „10 Millionen, 100 Millionen“, über den „Filmabspann bei der Berlinale“, über „Visionen“. Dann ruft einer nach Jenny: „Kann ich bitte noch einen Apfelsaft haben?“ Dass sich Herr S., im Bett liegend, vielleicht gerade über sie ärgert, tangiert die beiden kaum. „Ich finde es schlimm, wenn sich die Leute beschweren. Sollen sie doch nach Zehlendorf ziehen“, sagt Künster, der täglich in Kneipen geht. Briel assistiert: „Ich finde die Entwicklung mit den vielen Kneipen sehr gut. Das ist doch eine Chance für Friedrichshain.“

Am Nebentisch hocken Marlene (22), Redakteurin, Skadi (22), Bäckereiangestellte, und Thomas (22), zurzeit Skadis Hausmann. Man diskutiert fröhlich über Skadis und Thomas’ Umzug aus einer lauten 6er-WG in eine ruhige Wohnung in Pankow – ohne Kneipe im Haus.

Marlene lässt Herrn S. ausrichten, dass es ihr wirklich leid tut, wenn er wegen ihr keinen Schlaf finden sollte. Sie habe auch eine Zeit lang früh aufstehen müssen und sei dann nachts von grölenden Alkis gestört worden. Schade fände sie aber auch eine 22-Uhr-Sperrstunde. Marlene möchte, dass es allen Menschen gut geht. Sie sagt: „Rücksicht ist schon wichtig.“ Später sagt sie: „Stadt ist halt laut. Einen Pegel hast du immer.“ Thomas findet einen Supermarkt im Haus viel schlimmer als eine Kneipe. Skadi erzählt von ihren Erfahrungen mit einem Krankenhaus als Nachbar – „tatü-tata“. Dann gibt es ja auch noch Schulen, Kitas – oh je. Endlich kommt Thilo, der Wirt, und nimmt die neue Bestellung auf.

Der Wirt

Thilo Parlow spricht recht leise, auch wenn beim Thema Kneipenlärm die Wut in ihm aufsteigt. 250 Euro Bußgeld habe er einmal bezahlt, weil die Polizei nach 23 Uhr noch Gäste auf seiner Terrasse antraf. Am Boxhagener Platz gilt in der Woche eine Sperrstunde von 23 Uhr, am Wochenende von 24 Uhr. Deshalb springt Thilo Parlow Punkt 23 Uhr von seiner Bank auf und stoppt die fünf jungen Leute, die sich gerade setzen wollten und sich nun doch sehr wundern. „Hier ist es doch wirklich nicht laut.“ Nach drinnen gehen wollen sie nicht – also ziehen sie weiter. Einer murmelt: „Das ist eine Paranoia-Ecke hier.“ Und Thilo Parlow schimpft wieder über die Polizei, die vielen Auflagen der Ämter, der Papierkram. „Das ist ein absurdes Theater mitten in Deutschland.“

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