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Berlin: Mit Rad und Tat

Wolfgang Hoelzner und Stefan Neitzel betreiben die Fahrradstation am Bahnhof Friedrichstraße. Einigen Kunden legen sie den Rücktritt nahe

Von Claudia Keller

Morgens um halb zehn lehnen 100 Fahrräder am Südausgang des Bahnhofs Friedrichstraße. Eine Stunde später sind es nur noch 20. In der Zwischenzeit sind englische, französische und spanische Sätze durch die Luft geschwirrt. Fünfzig, sechzig Leute haben durcheinander gesprochen, geschraubt, geölt und Halterungen verstellt.

Unter ihnen Wolfgang Hoelzner, jubelnd: „Ein guter Tag, ein sehr guter Tag, ein Spitzentag!“ Der 44-Jährige ist schlank und groß, hat blonde kurze Haare und eine goldene Brille auf der Nase. Er wünscht sich, dass es jeden Tag so einen Tumult gibt. Denn davon lebt er. Davon, dass ganz viele Leute auf einmal Lust haben, Fahrrad zu fahren. Und jetzt auf der Stelle bei ihm in der „Fahrradstation“ im Bahnhof Friedrichstraße ein gelb-rot-weißes Mountainbike leihen wollen, ein „Piranha“ oder ein „Mambo“ oder ein einfaches 3-Gang-Rad mit Körbchen. Und diese Lust kommt erst so richtig bei schönem Wetter. So wie heute, bei dreißig Grad im Schattten.

„Das hier ist wahrscheinlich der teuerste Radladen Deutschlands“, hat Hoelzner morgens erzählt, als alles noch ruhig war und man dachte, ohje, was will der denn mit all den Rädern? Der Fahrradchef hatte aus der Kühltruhe des leuchtend roten Cola-Fahrradmobils zwei Wasserflaschen geholt und ein paar grundsätzliche Worte gesprochen über das 3-Säulen-Modell, auf dem die „Fahrradstation“ basiert (Verleih, Verkauf, Organisation von Sportevents). Die 35-Quadratmeter-Station versprüht den Charme eines Campingwagens. Als Mieter der Deutschen Bahn sei man „echt der Arsch“, hat Hoelzner gesagt. Zehn Prozent des Umsatzes würden für die Miete draufgehen, hier würde man so viel zahlen wie anderenorts für 300 Quadratmeter. Hoelzner sagt aber auch, dass man all das in Kauf nehme, um an der „Avenida der Sieger“ zu sein. Und die sieht so aus: gegenüber Baustellen, rechts um die Ecke das Reichstagsufer mit der Spree, obendrüber und drumherum der Bahnhof Friedrichstraße. „Hier laufen sie morgens und abends alle vorbei, die Jungen und Dynamischen aus den Ministerien und die vom Fernsehen.“ Und zack, da kommt schon eine: Schlank, groß, mit hochgeschlitztem Rock, blonden langen Haaren und einem so schönen Mund, dass sie vor der Baustellenkulisse wie von einem anderen Stern wirkt. Sie biegt mit ihrem Rad schließlich links um die Ecke in Richtung Bundespresseamt und ARD-Hauptstadtstudio.

80 Prozent der Kunden, die bei ihm ein Fahrrad kaufen, sind Leute aus den Ministerien, sagt Hoelzner. Die Bonner hätten Berlin erst zu einer Fahrradstadt gemacht. Berlin unter Landowsky sei ja so was von fahrradfeindlich gewesen, Berlin sei die letzte Stadt in Deutschland gewesen, die die Einbahnstraßen für die Radler freigegeben habe.

Der 18-jährige Marcel arbeitet weder im Bundespresseamt, noch bei der ARD. Er hat eine kurze beige Hose an und ein blaues T-Shirt. Marcel ist Franzose. Er ist drei Tage hier, um die „Lage zu peilen“. Und wie könnte man das besser als mit einem Fahrrad? „In Paris ist es viel zu gefährlich, Rad zu fahren“, sagt er. In der Hand hält er Zeitungsausschnitte. Er will sich WG-Zimmer anschauen, weil er bald zum Studieren wiederkommt. Er leiht sich ein Mountainbike.

„Die Hälfte der Fahrradleiher ist jung, dynamisch und erfolglos“, sagt Hoelzner, „die nehmen die Mountainbikes. Die anderen sind 50 plus, spätbürgerlich-liberal. Die brauchen Rücktritt und Korb.“ So wie die drei da, wetten? Hoelzner stellt sein Wasser auf die Cola-Box und geht zu einem älteren Ehepaar mit Tochter. Er behält Recht: Drei Mal Stadtrad bitte. Die letzten Tage hätten sie sich die Füße platt gelaufen, Reichstag, Potsdamer Platz, Hackesche Höfe und so, heute wollen sie ins Grüne. Kaum sind sie weg, kommen die nächsten: drei 25-jährige Amerikanerinnen aus Las Vegas, ein 32-Jähriger aus St. Louis, drei aus Illinois, zwei Spanierinnen aus Madrid, dreißig Schwimmfans aus deutschen Landen, die zur Europameisterschaft da sind. Dazu Mickey, Andrew, und Brad von „Insider Tour“. Gleich starten ihre geführten Fahrradtouren. Mittlerweile ist es halb elf.

Die einen können sich nicht zwischen Mountainbike und Rücktritt entscheiden. Andere überlegen, ob der Sattel doch lieber einen halben Zentimeter hoch soll oder vielleicht runter? Und der Lenker? Joanne, Colette und Michelle aus Las Vegas bleiben ganz cool. Sie kennen das. Auch in Italien und in Brüssel haben sie sich Räder geliehen. Sie nehmen die Mauer-Tour. Wie auch Chris aus St. Louis. Der ist nur für einen Tag in Deutschland. Er ist schon ganz enttäuscht, weil er gehört hat, dass von der Mauer fast nichts mehr zu sehen ist.

Puh, so eine Hitze, noch ein Wasser? Der Ansturm ist erst mal vorbei. Mittlerweile ist auch Stefan Neitzel gekommen, der zweite Chef der Fahrradstation. Er ist 35 und redet, als sei er in eine Marketingabteilung hineingeboren worden. Aus seiner Satteltasche holt er Postkarten und allerlei Werbeflyer hervor, mit denen er auf die neuen Call-a-bike-Räder der Deutschen Bahn aufmerksam machen will. Die Fahrradstation ist offizieller Partner für die Vermarktung und Wartung der neuen Leihräder – obwohl Hoelzner und Neitzel befürchten, dass ihnen die Bahn mit den Leihrädern Konkurrenz machen wird. „Für die nächsten zwei Jahre ist das erst mal durch den Vertrag mit der Bahn aufgefangen“, sagt Neitzel. Er hofft auf mehr Touristen, die sich Fahrräder ins Hotel Adlon kommen lassen, wie eben die beiden Italiener. Das Radfahren sei für viele, die sich sonst chauffieren lassen, der letzte Thrill. Geld spiele dann keine Rolle. Und so entwickelt sich die Fahrradstation in Neitzels Träumereien mehr und mehr zur Oase. Er schwärmt von Radtouren in Frankreich, von Schloss zu Schloss: „Radeln ist der Inbegriff des Cabrio-Fahrens“.

Die Fahrradstation im Bahnhof Friedrichstraße ist geöffnet montags bis freitags von 10 bis 19 Uhr, sonnabends 10 bis 16 Uhr, weitere Zweigstellen gibt es in den Hackeschen Höfen, Auguststraße, Bergmannstraße, Leipziger Straße. Die Leihgebühr für einen Tag beträgt 15 Euro, eine geführte Tour 15 Euro. Weitere Infos unter www.fahrradstation.de

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