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Berlin: Mit Rad und Tat

Für Jörg Diekmann beginnt heute ein Abenteuer. Er tritt eine Weltreise nach Fernost an

Die Wahrheiten im Leben des Jörg Diekmann sind bestechend einfach: „Wenn es hell wird, stehe ich auf.“ Oder: „Bewegung ist das Gegenstück zu Starre.“ Heute geht der 44-jährige, ehemalige Junkie mit seinem knallroten Fahrrad für anderthalb Jahre auf Weltreise; ohne Handy, allein und mit wenig Geld in der Tasche. Fernziel Fernost. Über Rumänien, Türkei, Iran, Pakistan nach Indien, wo Diekmann den Winter verbringen will. Von dort aus will er Anfang 2006, über Nepal weiter bis nach Peking.

Einzige Eckpfeiler der Reise mit seinem Etat in Höhe von 6500 Euro werden die Treffen der weltweit agierenden Suchtselbsthilfegruppe Narcotics Anonymous (NA) sein. Zudem lässt sich die Tour im Internet verfolgen. Auf der Webseite www.bikeglobetrotter.de wird Diekmann ein Tagebuch schreiben und mit Fotos bestücken. Nach der Motivation für die Reise befragt, sagt Diekmann: „Ich glaube, dass ich Normalität nur schwer ertragen kann. Monotonie hatte ich lange genug in meinem Leben.“ Dann erzählt der gebürtige Westfale, der seit 1980 in Berlin lebt, von der Eintönigkeit seines ehemaligen Junkie-Daseins. „Mein kompletter Tag war nur auf Beschaffung und Konsum der Droge ausgerichtet.“ Mittlerweile ist Diekmann seit sechs Jahren abstinent. Um auch auf seinen Reisen nicht in Versuchung zu geraten, geht er zu NA. Die in den Fünfzigerjahren in den USA entstandene Selbsthilfegruppe boomt neuerdings auch in Osteuropa und einigen islamischen Ländern. „Allein in Iran gibt es 200 Meetings“, sagt Diekmann.

Abseits von NA empfindet Diekmann soziale Kontakte oft als anstrengend. „Ich bin schon viel und gerne mit mir allein.“ Vor allem das stereotype „woher und wohin“ der anderen Traveller ist ihm suspekt. Bereits bei seiner vorigen, halbjährigen Reise – 2003 kreuz und quer durch Südostasien – sei er nach längerem Halt stets froh gewesen, wenn er wieder alleine auf seinem Fahrrad saß. Mit Normen wie beruflichem Erfolg, teurer Bekleidung, überhaupt Besitz und sozialer Sicherheit hat Diekmann nicht viel am Hut. In Berlin hielt sich der sportliche Mittvierziger zuletzt mit Gelegenheitsjobs über Wasser.

Diekmann hat, wie er meint, die typische Achtziger-Jahre-Berlin-Karriere hinter sich: „Hausbesetzung, Punk. Kein Bock auf Bund.“ Wie so viele andere Szene-Gestalten, geriet auch er nach dem Abbruch seiner Ausbildung ins Schleudern. Der Sohn eines Alkoholikers verfiel selbst der Sucht, schaffte aber dank dem NA-Programm, das auf dem Genesungsweg der Anonymen Alkoholiker basiert, den Ausstieg.

Doch auch die schlimmste Vergangenheit trägt oft gute Früchte. So hat die Zeit der Sucht und der miefigen Hausbesetzer-WGs Diekmann abgehärtet für das Leben auf der Straße. Wenn er mal nicht im Zelt schläft, übernachtet Diekmann auf Reisen in so genannten Guesthouses. „Oropax ist in asiatischen Bretterverschlägen ein Muss“, sagt er. Manchmal seien seine Unterkünfte so schmutzig, dass sich der Tourist lieber eine Plastikplane auf die Betten legt. „Spätestens wenn mich jemand fragt: You want woman? You want boy? weiß ich, dass ich in einem Puff gelandet bin.“ Doch solche Widrigkeiten können Diekmann nicht viel anhaben. Da hat er schon schwierigere Zeiten erlebt.

Andreas Kaiser

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