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Berlin: Mit Schirmchen

Regenschutz hat hier Tradition: Wie vor 100 Jahren werden in Steglitz noch Schirme gefertigt.

Man könnte jetzt den Witz vom Netzer rausholen, der natürlich das beste Netz hat, wie es ein aktueller Werbespot suggeriert. Dann gibt es die besten Schirme, natürlich, wo? Nur dass dieser Laden tatsächlich jahrelang von Familie Schirmer geführt wurde. Seit 1908 genau genommen. Heute ist Schirm-Schirmer das letzte verbleibende Fachgeschäft der Stadt. Und wenn es draußen nass und kühl ist, wie gerade, dann läuft der Laden besonders gut.

Im Geschäft in der Kieler Straße in Steglitz scheint die Zeit stillzustehen. In den Ecken sammelt sich der Staub, die Fensterläden knarren und durch die Tür pfeift der Wind herein. Überall im Laden stehen Schirme und an den Wänden hängen alte Postkarten und Bilder. Auch auf ihnen ist der Schirm der Protagonist. Mal aufgespannt. Mal zugeklappt. Mal schlicht. Mal extravagant. „Die Bilder sind Mitbringsel alter Stammkunden“, sagt Jacqueline Brückner, die das Geschäft vor 25 Jahren übernommen hat. Eine richtige, kleine Galerie ist daraus geworden. Und obwohl viele der Bilder bereits angegilbt und an manchen Rändern eingerissen sind, lässt Brückner sie hängen. So wie die Erinnerung an Frau Schirmer, so gehören auch die Bilder zur Geschichte des Ladens.

„Frau Schirmer, das war noch eine richtige Dame“, erzählt Brückner. Groß, schlank, eine beeindruckende Persönlichkeit sei sie gewesen. „Oft plauderte sie mit den Kunden und zog genüsslich an ihrer Zigarette. Und wenn sie sich über einen Kunden ärgerte, verabschiedete sie ihn auch gerne mal mit den Worten: Und bitte beehren Sie das nächste mal jemand anderen.“

Doch die kleine Galerie ist mehr als nur Andenken. Die Bilder zeigen auch, wie sich die Mode des Schirms verändert hat. Stand der Schirm Anhang des 20. Jahrhunderts noch als Accessoire des Bürgertums, so ist er heute zum alltäglichen Gebrauchsgegenstand degradiert. Früher ging kaum ein Mann, der etwas auf sich hielt, ohne schwarzen Schirm und Hut aus dem Haus und den Damen diente er nicht nur als Schutz gegen Sonne und Regen, sondern er gehörte zur Ausstattung. Der Schirm war Mode. „Heute hat sich das geändert“, sagt Brückner. „Ob der Schirm zum Outfit passt, darauf achten nur noch die wenigsten. Praktisch und funktional soll er sein. Hauptsache klein und leicht.“

Handwerksaufträge bekommt Brückner heute nur noch selten, Schirme bespannt, wie es früher üblich war, hat sie schon ewig nicht mehr. Der Beruf des Schirmmachers stirbt aus.

Doch im Gegensatz zu den Billigschirmen, die beim ersten Windstoß kaputtgehen, bezieht Jacqueline Brückner ihre Ware aus österreichischen Manufakturen oder aus Paris. Sie sollen ein Leben lang halten und kosten deshalb auch 40 bis 80 Euro. „Da überlegen viele Kunden zweimal, ob sie sich den Schirm leisten wollen“, sagt Brückner. Zumal auch die Gegend um die Schloßstraße nicht mehr die gleiche Kaufkraft habe wie früher. Viele Kunden kauften günstige Schirme in anderen Geschäften und spezielle Zusätze bei ihr, erzählt Brückner. Vor allem bei älteren Menschen sei die Eiskralle, die an jeden Schirm gesteckt werden kann, im Winter beliebt. Brückner warnt: Die billige Schirmfeder halte dem Druck oft nicht stand. „Da lohnt es sich, auch beim Schirm etwas mehr Geld auszugeben.“ Dann greift Jacqueline Brückner unter den Ladentisch und holt ihre Zigaretten heraus, pafft genüsslich eine im Laden. Nicht alles hat sich geändert bei Schirm-Schirmer. Stella Marie Hombach

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