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Bis Dezember 1953 mussten die Berliner auf den Ende der dreißiger Jahre gedrehten Film „Vom Winde verweht“ warten, im Bundesgebiet war er schon elf Monate früher zu sehen. Nur in der Charlottenburger „Kurbel“ wurde das Südstaaten-Drama um Rhett Butler (Clark Gable) und Scarlett O’Hara (Vivien Leigh) damals hier gezeigt. Jetzt wird diese Kinotradition ausgelöscht: Die Kurbel macht dicht. Fotos: akg-images, Mike Wolff

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Berlin: Mit Sitzkissen zu Scarlett und Rhett

Am Mittwoch schließt das Kino Kurbel mit „Vom Winde verweht“. In den fünfziger Jahren lief der Film dort ununterbrochen 28 Monate lang.

Man erkannte sie schon von weitem. Wer mit einem Sitzkissen unterm Arm dem kleinen Platz an der Giesebrechtstraße/ Ecke Sybelstraße zustrebte, der wollte ins Kino, zu Rhett Butler und Scarlett O’Hara in „Die Kurbel“. Am 4. Dezember 1953 war dort zum ersten Mal in Berlin „Vom Winde verweht“ gezeigt worden, nun lief der Film tagein, tagaus – eine vierstündige Herausforderung für das Sitzfleisch, trotz Bockwurst- und Pinkelpause in der Mitte. Die erste Besucherin, die im Foyer ihr Privatpolster aufpustete, erntete bereits stürmischen Beifall. Andere folgten dem Beispiel, und so war das eigene Kinokissen bald Brauch auf dem Weg in das Charlottenburger Kino.

Bis zum 5. April 1956, in 2395 Vorstellungen, wurde der Film ununterbrochen gezeigt. An diesem Mittwoch kommen zwei weitere hinzu, aber ein Grund zum Feiern ist das nicht. Das Kino wird geschlossen, hat ohnehin den Betrieb kürzlich vor der Zeit überraschend eingestellt, soll nur noch für die beiden Abschiedsvorstellungen reaktiviert werden. Dann endet, sofern nicht noch ein Wunder geschieht, in der Giesebrechtstraße 4 eine jahrzehntelange Kinokultur. Seit Mitte der dreißiger Jahre liefen dort Filme.

„Vom Winde verweht“, gedreht nach Margaret Mitchells Roman, hatte am 15. Dezember 1939 in Atlanta Weltpremiere, war also nur wenig jünger als das Charlottenburger Kino. Wegen des Krieges wurde er in Deutschland zunächst nicht gezeigt, und in Berlin hat es bis zum Start dann noch mal extra lange gedauert. Bereits im Herbst 1948 war der Film vom US-Verleih für die Auswertung in Deutschland freigegeben worden, zwei Jahre später begann man im Tempelhofer MGMSynchronisations-Atelier mit der Arbeit. Der damals in Berlin lebende, hier 1993 gestorbene und auch begrabene Schauspieler Siegfried Schürenberg sprach Rhett Butler, seine ebenfalls hier lebende Kollegin Elfie Beyer war Scarlett O’Hara. Der Start in den westdeutschen Kinos ließ bis zum 15. Januar 1953 auf sich warten, und in West-Berlin gab es ein Spezialproblem: Die vom Verleih geforderten Ticketpreise seien für die Berliner Bevölkerung, zumal die aus dem Osten, zu hoch, man habe den Film daher nicht ins Programm genommen, erklärte der Verband Berliner Filmtheater e.V.. Letztlich musste er doch klein beigeben: In der Kurbel – damals liefen Filme nur in einem Kino pro Stadt – kosteten die Karten wie in Frankfurt/Main drei, fünf und sieben DM, später gab es immerhin Ermäßigungen für Rentner, Arbeitslose und „Ostbewohner“.

Mag sein, dass die überlange Scarlett-lose Zeit die Berliner besonders beflügelt hat. Morgens um sechs standen die ersten vor dem Kino, im Laufe des Tages wuchs die Schlange kontinuierlich, erst nachts um zwölf kehrte in der Giesebrechtstraße endlich wieder Ruhe ein. Rund 600 000 Zuschauer, viele auch aus dem Ostteil der Stadt und selbst recht fernen Städten wie Magdeburg, fanden so den Weg nach Atlanta und Tara, Scarletts Plantage, schluchzten mit ihr, küssten mit Rhett, begeisterten sich für „die Negermamie Hattie McDaniels mit dem beseelten dunklen Gesicht“ – ja, so stand das damals auch noch im Tagesspiegel.

So viel Treue forderte Opfer. Denn so sehr das Kassenklingeln den Kinobetreiber Walter Jonigkeit gefreut hat – seine Platzanweiserinnen, die im stündlichen Wechsel im Kinosaal auch den Ton zu regulieren hatten, drehten fast durch: Nach einem halben Jahr musste die erste Riege in ein anderes Kino versetzt werden, drei weitere Wechsel folgten. Die Frauen konnten die Dialoge einfach nicht mehr hören und sprachen fast nur noch in Filmzitaten: „Bei Gott, ich werde nie mehr hungern.“

Kurbel, Mittwoch, 15.30 Uhr (und – ausverkauft – 20 Uhr)

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