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Berlin: Mit Spürsinn für den eigenen Kiez

Die Kreuzberger „Kiezdetektive“, seit 1999 unterwegs, um Misstände zu suchen, sind für den Deutschen Präventionspreis nominiert

Jocy ist erst elf, aber auf Politiker gar nicht gut zu sprechen. „Dass für mehr Lampen im Böcklerpark kein Geld da ist, kann ich verstehen, aber man hätte wenigstens die vielen Scherben wegräumen können“, sagt sie bestimmt. Jocy ist eine von insgesamt 60 „Kiezdetektiven“. 20 Kinder der Jens-Nydhal-Grundschule und 40 der Otto-Wels-Grundschule erkunden als „Kiezdetektive“ noch bis Mai den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, um Missstände in ihrem Viertel aufzuspüren.

Entdeckt haben sie einiges und werden dafür mit etwas Glück auch belohnt. Die „Kiezdetektive“ sind nämlich in der Endrunde für den Deutschen Präventionspreis 2007 gelandet. Insgesamt hatten sich bundesweit rund 190 Projekte beworben, von denen nun noch zwölf um die mit insgesamt 50 000 Euro dotierte Auszeichnung konkurrieren. Der Preis wird jährlich von der Bertelsmann Stiftung, dem Bundesministerium für Gesundheit und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vergeben. „Im Finale sind völlig unterschiedliche Projekte“, sagte Gunnar Stierle, Projektleiter des Deutschen Präventionspreises, am Mittwoch in der Otto-Wels-Grundschule bei der Begutachtung des Berliner Projekts. Von der Alkoholprävention bis zur Flüchtlingshilfe reiche die Spannbreite.

Ziel der Berliner Initiative ist, dass Kinder zwischen 6 und 14 Jahren mitentscheiden können, wie ihr Viertel im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg künftig aussieht. Sie sollen herausfinden, wie ihr Kiez kindgerechter wird. Projektträger ist das Bezirksamt. Rund 500 „Kiezdetektive“ sind seit 1999 ausgeschwärmt, um ihre Umgebung unter die Lupe zu nehmen. Jedes Jahr beteiligen sich unterschiedliche Schulen.

„Ich habe schon öfters Spritzen gefunden“, erzählt Jocy. Das finde sie ekelig. Schließlich könnten kleinere Kinder diese anfassen oder in den Mund nehmen. Dem gleichaltrigen Serkan, ebenfalls ein „Kiezdetektiv“, ist sein Viertel zu schmutzig. Sicher fühlt er sich auch nicht. Bestimmte Ecken sind ihm nicht geheuer. „Ich habe Angst, dass ich da angegriffen werde“, sagt er.

Die „Kiezdetektive“ haben ihre Mängelliste an die Behörden weitergegeben. „Passiert ist aber nicht so viel“, sagt Jocy. Seit 1999 wurde allerdings schon so mancher Vorschlag der jungen Detektive umgesetzt: Eine Freifläche sei nun eine Gemeinschaftswiese mit Grillplätzen und Spielgeräten, erzählt Ingrid Papies-Winkler vom Bezirksamt, die das Projekt betreut. Die Wiese werde inzwischen von einer Kita, einem Mädchenprojekt und einem Seniorenheim genutzt. „Das ist unser Musterbeispiel“, sagt Papies-Winkler.

Immer bevor die „Kiezdetektive“ auf Entdeckungstour gehen, gibt es erst einmal eine Lagebesprechung. Die Kinder sammeln, was sie in ihrem Wohnumfeld stört. Das sind Probleme unterschiedlichster Art – von der Lärmbelastung über fehlende Spielplätze bis hin zu Sicherheitsfragen. Anschließend wird ausgerückt.

Natürlich geht das nicht ohne eine Sonderausrüstung: Wie die großen Detektive erhalten die Schüler einen Sonderausweis, einen Fotoapparat und Notizhefte. Außerdem haben sie ein Erkennungszeichen – ein Stirnband und einen Button, der einem Sheriff-Stern ähnelt. Friedrichshain-Kreuzberg ist der Bezirk mit dem niedrigsten Sozialindex, der höchsten Arbeitslosenquote und dem zweithöchsten Anteil an Sozialhilfeempfängern und Migranten. Ziel des Projektes ist es daher auch, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken und ihnen zu zeigen, was demokratisches Handeln ist, sagt Papies-Winkler. Der Migrationsanteil liege an der Jens-Nydhal-Schule bei 95 Prozent und an der Otto-Wels-Schule bei 85 Prozent. Ob die Mühen der Kinder um ihren Kiez mit dem „Deutschen Präventionspreis“ belohnt werden, entscheidet sich am 19. Juni.

Michaela Zin Sprenger (ddp)

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