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Berlin: Mit Vollgas durch die Furche

Die Grüne Woche wird immer mehr zur Leistungsschau der deutschen Bauern – und immer weniger international

Auf den ersten Blick: Alles wie immer. Mampfende Rinder und kuschelnde Ferkel, penetrante Weinverkäufer und feingemachte Hostessen, Brezeln, Lavalampen und Kängurubratwurst. Geht man aber ein wenig durch die Hallen und zwingt entlegene Erinnerungen herbei, ändert sich das Bild. Die Grüne Woche, einst Schaufenster der Welt für die eingemauerte Stadt, entwickelt sich langsam zu einer deutschen Regionalmesse mit osteuropäischen und internationalen Akzenten. Selten sah man so viel Bier, Wurst, Kraut und Gurken auf einen Haufen wie in den Inszenierungen der neuen Bundesländer, multipliziert in der deutschen Gemeinschaftsschau. Da schwanken die Stralsunder Papp-Piraten, und um sie herum schwanken auch die Stralsunder selbst, die verblüfft feststellen, was es in ihrer Gegend alles so gibt. Senfnudeln, Sanddornöl, Bärlauchsalz, ja sogar weltläufige Gaumenkitzler wie die „Schlaubetaler Zandernuggets“. Wenn es nur mal in die Supermärkte käme!

Die Zeit der großen Auslandsschauen dagegen ist vorbei. Die Dänen, die einst mit ihrer Pappkuh Karoline eine Ikone der Grünen Woche geschaffen hatten, konkurrieren mit Nepal um die kleinste Länderpräsentation, Amerika findet nur noch in den Importsortimenten statt – und kaum hat man sich zum spanischen Schinken durchgearbeitet, erfährt man, dass auch hier ein Berliner Händler auftischt. Nur Frankreich ist noch mit einer kompletten Halle präsent. Israel offeriert seine Spezialitäten geradezu verzweifelt umfangreich, die baltischen und die ehemals jugoslawischen Länder testen den Markt mit immer mehr eurokonformen Produkten. Italien dagegen konzentriert sich weiter auf die Spezialitäten kleiner Produzenten, auf windschiefen Tischen mit handgeschriebenen Zetteln authentisch in Szene gesetzt.

Doch das ist ja nur ein Teil der Grünen Woche. Im Zeichen der drohenden Agrarwende tobt ein versteckter Kampf zwischen den Öko-Bauern und ihren eher industriellen Gegenspielern, die auf „precision farming“ setzen und die Ernte per Satellit überwachen. Das mögen besonders die modebewussten Berliner Kinder, die sich in langen Schlangen vor einem Traktor-Simulator aufstellen. „Mustafa, komm jetzt“, sagt ein Mädchen, „wir müssen weiter!“ Doch Mustafa sitzt wie angeschweißt am Lenkrad und fegt mit Vollgas durch die virtuelle norddeutsche Ackerfurche, bis auch die letzte Kuh ins Gebüsch geflohen ist. Sowas kommt an, und noch besser wäre nur die Fahrt im Mähdrescher-Simulator, den es freilich nicht gibt. Dafür reckt sich ein echter Mähdrescher hoch über ein angedeutetes Maisfeld, wir lesen vom „Multicrop-Dreschwerk mit zwei Abscheiderotoren multi-plus“, von hinten stupst uns ein mülltonnenförmiger Roboter mit einem rot glimmenden Herz auf der Brust an, und da sieht der Öko-Bauer natürlich steinalt aus.

„So isst man heute“ lautet folglich der Slogan einer Firma, die auf der Grünen Woche so offensiv noch nie zu sehen war: Bei „Iglo“ feiern sie unter dunklem Fachwerk ein Hochamt des Rahmspinats. Verona F. fehlt, sonst ist alles da, der Spinat, der Rahm, der Blubb. Ein Mann vom Kochduell rührt in einer großen Pfanne mit dem grünen Gemüse herum, glutvoll blickend, als sei ihm gerade der dritte Stern verliehen worden. Mehr Industrie gibt es in der so genannten JugendEvent-Halle, wo man sich zum Chill-out bei Talking Food trifft, wo „Burger King“ und Bundeswehr um Kundschaft ringen, Bei der Bundeswehr gibt es an diesem Mittag ausgerechnet Lachs, ein Gericht, das die Erwartungen der Wehrpflichtigen gefährlich in die Höhe treibt: Offenbar ist die Gulaschkanone längst von der Hummer-Rakete mit Mehrfachkochplatte abgelöst worden. Ein Drittel deutscher Nährstand also und ein Drittel weite Welt. Die wahren Kenner der Messe allerdings kommen wegen des dritten Drittels. Das ist der Non-Food-Bereich, das Reich der Propagandisten, die aus Magermilch fette Sahne quirlen, Myriaden von Öllämpchen anzünden und das Auge mit Lavaquellen martern. Hier kreischen die Kettensägen, Männer mit Lederschürzen rühren stoisch im Gartenwok, und das Balsam-Massage-Set gegen Hornhaut wird, wie das Schild verspricht, „deutlich“ unter Listenpreis abgegeben. Ein paar Schritte weiter sitzt ein lächelnder Koreaner und haut lange Nägel in Holzleisten. Dann zersägt er Nägel samt Holz im Wellenmuster, glücklich koreanisch murmelnd. 20 Euro! Nun ja: Dafür haut uns Aal-Kai in der Fischhalle glatt zehn Aale aufs Papier und Lachs und Sprotten noch dazu. Zack! Und immer noch zwanzig! Das ist der Grünen Woche irgendwie angemessener.

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