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Berlin: Mit „Werther“ gegen den Gefühlsstau

Unter der Leitung des Regisseurs Sebastian Baumgarten hat am Sonnabend die Oper nach Goethes Roman Premiere

Von Tanja Buntrock

Wenn man’s genau nimmt, hat Sebastian Baumgarten seine Karriere einem misslungenen Gespräch zu verdanken. Musikwissenschaften wollte er nach dem Abitur an der Humboldt-Universität studieren. „Kulturhausleiter in Stendal“, prophezeite der Professor im Einzelgespräch, sei das, was dabei herauskommen würde, maximal. Hoffnungen auf etwas anderes brauche er sich gar nicht zu machen.

„Vom Typ her Idiot“, beschreibt Baumgarten, 33 Jahre, sein Gegenüber von damals. Doch heute kann er darüber lachen. Schließlich ist er längst studierter Opernregisseur, der mit dem Götz-Friedrich-Preis ausgezeichnet worden ist, und unter dessen Leitung am Sonnabend die Premiere von Jules Massenets „Werther“ in der Deutschen Oper gezeigt wird.

Baumgarten trägt eine ähnliche Frisur wie Noel Gallagher von Oasis und dazu eine schwarze Lederjacke mit weißen Streifen. Wenige Tage vor der Premiere lehnt er sich morgens im Café Hardenberg zurück und bestellt ein italienisches Frühstück. Acht bis neun Stunden Proben stehen bevor – wie jeden Tag seit August. Manchmal, sagt er, komme er gar nicht mehr heraus aus der Oper. Da arbeite er bis tief in die Nacht und schlafe dann ein paar Stunden auf einer Pritsche. Voller Einsatz für die Musik.

Den hat er schon als Schüler gezeigt. Der Großvater war Intendant der Staatsoper, die Mutter klassische Sängerin. Baumgarten wird in Pankow – wie man so sagt – in eine Musikerfamilie hineingeboren. Er besucht das Händel-Gymnasium mit Schwerpunkt Musik: Zwei bis fünf Stunden Klavier üben, jeden Tag. Doch die Klassik nimmt nicht überhand, es gibt noch mehr im Leben. Als Jugendlicher hört er West-Radio, Peter Gabriel und Udo Lindenberg – „was man als junger DDR-Bürger damals so hörte“. Mit 15 beginnt er, sich fürs Theater zu interessieren, „Heiner Müller ist damals wichtig geworden für mich.“ Nach dem Abitur folgt dann eben das missglückte Vorstellungsgespräch an der Humboldt-Uni, was dazu führt, dass er zunächst bei der Regisseurin Ruth Berghaus hospitiert. Die bekannte Regisseurin entdeckt sein Talent und engagiert ihn später als Assistenten. Sein Studium absolviert er an der Musikhochschule „Hanns Eisler“. Aufmerksamkeit in der Branche erregt Baumgarten vor allem am Staatstheater Kassel mit seinen Inszenierungen „Die Entführung aus dem Serail“, „Rosenkavalier“ und „Parsifal“.

Ähnlich wie beim Fußball Spielerbeobachter in die Stadien geschickt werden, um Talente auszuspähen, läuft es auch in der Opernszene: Udo Zimmermann, Intendant der Deutschen Oper, bekommt Wind von dem Nachwuchsregisseur. Im Januar klingelt das Telefon bei Baumgarten. Er hat den Job.

„Werther“, die Oper, die Massenet immerhin mehr als 100 Jahre nach Goethes Briefroman-Vorlage „Die Leiden des jungen Werthers“ komponiert hat, übe auf Baumgarten einen besonderen Reiz aus. Der veränderte Liebesbegriff, der nicht mehr als „Austausch von Gefühlen“ gesehen werde, sondern eher ich-bezogen. „Narzissmus als Thema“, umschreibt er die Faszination. Und irgendwie passte das Stück auch gerade ganz gut in seine private Situation, weil kürzlich seine sechsjährige Beziehung auseinander gebrochen ist. Nicht, dass er sich nun mit Selbstmordgedanken wie der junge Werther plagte, nein, „aber man denkt schon auch an seine eigenen Erfahrungen bei der Inszenierung“, gesteht er. Klar staue sich dabei Schmerz auf. Doch die Arbeit trage dazu bei, diesen Gefühlsstau wieder aufzulösen.

Sport treiben helfe auch. Baumgarten gehört zur Spezies Fitness-Studio-Gänger. Als er das erzählt, lacht er ein wenig verlegen, so als wäre es ihm peinlich. Aber sich beim Sport auszupowern sei gut, weil man da an seine Grenzen stoße, sie zu überschreiten versuche. Ähnlich wie im Job eben.

Selbst ganz privat umgibt sich Baumgarten am liebsten mit Musik. Allerdings keine Klassik. Eher Elektro-Bands wie „To Roccoco Rot“. Baumgarten bewegt sich in der Clubszene, geht ins „Cookies“ oder in die „Magnet-Bar“. „Genau richtig zum Chill-Out“, sagt er szenegerecht.

Am Sonnabend, wenn in der Deutschen Oper die Premiere läuft, wird er in der Kantine sitzen, drei Stunden lang. „Ich kann es mir einfach nicht anschauen“, sagt er. Erst zum Applaus geht er mit raus. „Das ist halt so.“ Das Stück habe er dann wirklich genug gesehen, sagt Baumgarten. Schließlich müsse man sich auch mal trennen vom Baby, das in einem gewachsen ist.

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