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Berlin: Mitleid hilft nur den Hintermännern

Gegen die organisierte Kinderbettelei gibt es keine Paragraphen, doch zumindest das Problem mit den Hütchenspielern hat die Polizei im Griff

Sie hoffen auf das Mitleid der Passanten. Man hört es von Freunden, Kollegen, Nachbarn, aber auch viele der Geschäftsleute in der City-West rund um den Ku’damm und Tauentzien sind sich sicher: Es wird wieder verstärkt gebettelt. Vor allem Frauen mit Kleinkindern im Arm kauern sich auf dem Steinboden zusammen, aber auch Kinder und Jugendliche versuchen mit mitleidserregenden Schicksalsschlägen, die in krakeliger Schrift auf Pappschilder geschrieben sind, den Passanten das Geld aus der Tasche zu ziehen. „Bitte helfen. Vater tot, Mutter krank“, steht auf einem Kartonfetzen, den gestern ein junges Mädchen gegenüber des Restaurants Mövenpick am Ku’damm in die Höhe hielt.

„Tja, schön ist das alles nicht. Aber es ist ja nicht verboten, solange sie draußen bleiben“, kommentiert ein Juwelier nahe des Breitscheidplatzes den Bettler-Andrang. „Was will man denn auch machen?“, fragt er. Diese Frage stellen sich auch Touristen, Passanten und die Geschäftsleute.

Matthias Müller, Polizeihauptmeister im zuständigen Abschnitt für die City-West, beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Phänomen der Bettler, aber auch der vereinzelnd auftretenden Hütchenspieler. Einen konkreten Grund, warum die Gegend rund um den Ku’damm wieder verstärkt von Bettlern belagert wird, kann er nicht nennen. „Es finden immer wieder Verschiebungen statt. Eine Zeitlang haben diese Bettler-Gruppen sich in anderen Städten und Ländern niedergelassen. Es kann sein, dass es dort zu anstrengend wurde, also probieren sie es hier wieder“, erklärt er sich das Phänomen. Die Bettler gehören zumeist zu ganzen Gruppen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien kommen und ungarische oder bulgarische Pässe besitzen, erklärt Müller. Alle hätten zudem ein Touristen-Visum, das drei Monate gültig ist. Das Betteln sei durchorganisiert. Hintermänner würden Frauen, Kinder und Jugendliche morgens in Reisebussen in der City-West absetzen und erst abends wieder abholen – und natürlich das Geld kassieren.

Dürfen die Kinder das? Müssen die nicht zur Schule? Wieso funktioniert das überhaupt? All diese Fragen stellen sich nicht nur Touristen und Passanten. Der Polizei seien die Hände gebunden, betont Müller. Durch das Touristenvisum bestehe für die Kinder keine Schulpflicht. Und Betteln ist in Deutschland seit 1974 nicht verboten. Nur bei aggressiver Bettelei, also wenn Passanten bedrängt oder genötigt würden, könnten die Beamten eingreifen. Im Sommer beispielsweise, als die Bettel-Kinder oft stundenlang in der brütenden Hitze verharren mussten, habe die Polizei versucht, verstärkt durchzugreifen. „Wir haben die Kinder aufgelesen und wollten sie eigentlich zum Jugendnotdienst geben“, schildert Müller. „Aber dann kamen sofort die Hintermänner, meistens die Sorgeberechtigten. Wir mussten sie ihnen dann wieder überlassen“, erklärt er. Keine Chance also, die Hintermänner wegen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz zu belangen? Hier verweist Müller auf das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Technische Sicherheit (Lagetsi). „Die Behörde sagt, das ist nicht gesetzwidrig, außerdem gehöre es zu deren Volksgepflogenheiten, dass Kinder ihre Eltern unterstützen“, gibt Müller wieder. Und was sagt die Behörde selbst? Robert Rath, Sprecher der Lagetsi, erklärt: „Wenn Kinder im elterlichen Betrieb mitarbeiten, dann ist das zulässig.“ Aber kann man denn diese Art der Bettelei vergleichen mit Kindern, die beispielsweise ihren Eltern helfen, den Kuhstall auszumisten? „Es ist leider so. Ob die Beschäftigung legal oder illegal ist, spielt erstmal keine Rolle“, erwidert Rath. Ob es diesen Leuten mit ihrem Touristen-Visum erlaubt ist, mit der Bettelei Geld zu verdienen, sei wiederum Sache der Ausländerbehörde.

Die Taktik, mehr Polizisten in die City-West zu schicken, um die Bettler zu vertreiben, bringe nichts, meint Matthias Müller. Es müsse von Seiten der Behörden mehr kommen, sagt er. Dass dieses „Bettel-Phänomen“ wieder auszumachen ist, sei auch darin begründet, dass „die Gesetze zu lasch sind“. Die Geschäftsleute und Passanten müssten nun mit den Konsequenzen leben. „Die Gruppenmitglieder wissen ja, dass sie betteln dürfen und dass wir gegen sie nicht vorgehen können.“ Allerdings hat eine stärkere Polizeipräsenz zumindest geholfen, die Hütchenspieler zu vertreiben. „Die sind nur noch vereinzelt zu sehen. Sobald sich eine Funkstreife nähert, sind die weg“, sagt er. Seit die Staatsanwaltschaft entschieden hat, dass Hütchenspielen unter Betrug fällt, habe es die Polizei hier leichter, gegen die „Abzocker“ vorzugehen. „Aber die sind sehr clever, lassen sich schwer schnappen.“

Und wie kann nun die Misere der oftmals verkrüppelten Bettel-Kinder, deren Gruppenführer sie nur missbrauchen, gelöst werden? Robert Rath erklärt, seine Behörde habe sich mit der Polizei auf Folgendes geeinigt: Die Polizisten sollen weiterhin die Papiere der Kinder überprüfen und dazu befragen, ob sie das Geld für ihre Eltern oder für andere erbetteln. Ist das Geld nicht für die eigenen Eltern bestimmt, also beispielsweise für den Onkel oder die Tante, können die Polizisten das Geld beschlagnahmen. „Hier liegt dann ein Verstoß vor, da Kinder nur für ihre Eltern arbeiten dürfen.“ Die Lagetsi würde daraufhin einen Bußgeldbescheid für genau diese beschlagnahmte Summe erstellen. „Das Geld bleibt also eingezogen, und wir hoffen darauf, dass die Bettler dadurch demotiviert werden und es aufgeben“, erklärt Rath.

Allerdings sind sowohl Rath als auch Müller sicher, dass zunächst nur eines helfe: Die Bürger sollten sich weder auf die betrügerischen Hütchenspieler einlassen noch den - wenn auch Mitleid erregenden - Kindern oder anderen Bettlern Geld geben. „Das sind organisierte Banden, den Kindern tut man damit nichts Gutes.“ Wenn keiner mehr Geld gibt, ist die City-West für Bettler nicht mehr lukrativ. Dann löst sich das Problem vielleicht von selbst.

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