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Berlin: Mittagspause, aktiv

Die Ferien sind vorbei, nun steht wieder eine lange Strecke am Schreibtisch bevor. Aber nur nicht verkrampfen – Bürosport machen. Wie nur wenige Übungen zwischendurch vor Rückenschmerzen schützen: eine Turnstunde mit dem Experten

Die Fasern straffen sich und verharren, die Muskeln versteifen. Die Blutzufuhr wird eingeengt, dann abgeklemmt, die angespannten Fasern lassen nichts mehr durch. Aber nur das Blut kann die Nährstoffe, den Sauerstoff bringen. Die Fasern werden unterversorgt. Sie können im schlimmsten Fall sogar degenerieren.

Während in seiner Rücken- und Schultermuskulatur ein Kampf um die Nährstoffe tobt, hat sich der Mensch nicht ein einziges Mal bewegt, er hat auf seinem Bürostuhl gesessen und auf den Computer geguckt. Wenn er so sitzen bleibt, hat er bei Feierabend vermutlich Rückenschmerzen. Wenn er aber bei der Strato AG in Berlin arbeitet, und es ist Mittwoch und Mittagszeit, ist damit gleich Schluss. Denn dann kommt Magnus Liepins.

Schon federt er um die Ecke, über den dunkelgrauen Teppich, groß und schlank, in Joggingschuhen, ein Rennpferd unter Büroponys. Liepins, 42, trägt einen engen schwarzen Fleece-Pullover, auf dem steht: „Gesundheitsmanagement Multi-Fit“. In senfgelb und petrol.

Die Strato AG sitzt im vierten Stock eines gläsernen Bürobaus in Tiergarten. Rund 500 Mitarbeiter hat die Firma in Berlin, davon fast die Hälfte im Callcenter. Fast alle sind jung, und sie sitzen viel, was beides an der Branche liegt: Strato ist ein Internet-Dienstleister. Rund 80 000 Stunden verbringen Büroarbeiter im Laufe ihres Arbeitslebens im Sitzen, sagen Statistiker. Aber eine perfekte Sitzhaltung gibt es nicht. Das bestätigt der Experte vom Berufsverband der Fachärzte für Orthopädie, Dietrich Bornemann: „Still sitzen ist ungesund.“ Weil nur Bewegung die Durchblutung garantiert. Die Muskulatur lebe von der Abwechslung, sagt Bornemann: gehen, stehen, sitzen.

Liepins winkt in ein Büro hinein und fragt: Kommst du heute? Seit drei Jahren kommt der studierte Sportlehrer regelmäßig zu Strato und leitet die „aktive Minipause“. Drei Mal pro Woche, von viertel nach zwölf bis halb eins. Er sagt, nur so habe Bürogymnastik einen Sinn. Sie muss langfristig und regelmäßig betrieben werden. Weil das Skelett durch das lange Sitzen auch langfristig und regelmäßig falsch beansprucht wird. Und das führt oft zu vorübergehender Arbeitsunfähigkeit. In Erhebungen über Krankschreibungen stehen die Muskel- und Skeletterkrankungen regelmäßig ganz oben. Jede vierte Krankschreibung (27 Prozent) wird damit begründet.

Als Liepins in den fünften Stock hinaufgeht, folgen ihm schon fünf Männer und drei Frauen. Sie gehen in Raum 510, und Liepins holt aus seiner Tasche einen portablen CD-Spieler, die Musik geht los, rhythmische Diskobeats, und die Gruppe marschiert auf der Stelle.

– „Hände öffnen und schließen.“

– „Schultern kreisen.“

– „Arme schwingen.“

Klassische Aufwärmübungen. Das Ziel ist: die angespannte Muskulatur im Rücken- und Schulterbereich zu entkrampfen, zu dehnen. Und nebenbei werde auch der Kopf freier, sagt Liepins, weil die Arbeit in den Hintergrund gedrängt wird. Die Strato AG ist eine von zehn Firmen, die auf Liepins Kundenliste stehen, darunter die Senatsverwaltung für Gesundheit. Zu seinen Angeboten gehören die aktive Pause, Rückenschule, Wirbelsäulengymnastik, Raucherentwöhnung oder Stressmanagement.

Die Musik spielt weiter, die acht Strato-Mitarbeiter machen Schritte nach links und rechts und sollen im Takt dazu die Arme heben und senken, die ersten kichern, weil sie durcheinanderkommen. Eine erzählt, dass sie vom Joggen noch Muskelkater habe, ein Kollege sagt, er sei vorm Rechner versackt. Liepins freut sich über die Gespräche. Er wirbt damit, dass die aktive Pause das Betriebsklima verbessere. Aus einer Tüte holt er dunkelgrüne Gummibänder, Theraband genannt:

– „Das Band kurz greifen und vorm Körper auseinanderziehen.“

– „Noch vier, drei, zwei.“

Dann Band hinters Gesäß und mit den Armen nach vorne ziehen. Dann ins Band stellen und links und rechts am Körper hochziehen. Und immer nochmal. Die meisten Übungen sind für Rücken und Schultern. Diese Muskeln sind anfällig. Die einen haben einen Hang zum Schwächeln, die anderen neigen zur Verspannung.

In einer Ecke steht ein Paar weiße Pumps mit Absatz. Die Frau hat sich Söckchen angezogen, die anderen sind geblieben, wie sie waren. Auch Stefan Legner mit seinem Schlips, er ist vom Vorstand. Keiner wird richtig schwitzen, das weiß er. Auch Legner ist seit der ersten Stunde dabei. Wegen des Entspannungseffekts, aber auch „ganz bewusst“, damit die Aktion nicht einschläft. Der Kurs ist für die Mitarbeiter umsonst, die Firma zahlt im Monat rund 670 Euro für die drei Einheiten pro Woche.

Als die „aktive Minipause“ nach einem Gesundheitstag bei Strato eingeführt wurde, saß die Firma noch in einem anderen Gebäude. Da war der einzig freie Platz vor den Fahrstühlen. Also haben sie da geturnt. Das sei anfangs natürlich peinlich gewesen, sagt Katja Kantke, die im Marketing arbeitet. Aber mit der Zeit sei es dann normal geworden. Sie versuche immer, neue Kollegen für die aktive Pause zu gewinnen. „So eine Viertelstunde mal weg vom Arbeitsplatz“, das gebe doch neue Energie. Außerdem komme man so auch mal mit Kollegen aus anderen Abteilungen in Kontakt. Sie sagt, wenn Freunde davon hörten, dass die Firma eine sportliche Pause bietet, seien die immer neidisch. Und dann vermittle es ja auch ein gutes Gefühl, wenn der Arbeitgeber sich kümmert.

Zehn Minuten sind vorbei, jetzt kommen Dehnübungen.

– „Hände ineinander verschränken, nach vorne ziehen, den Rücken krumm machen.“

– „Arme hoch, anwinkeln, Ellenbogen vorm Körper lassen und Schulterblätter zusammenziehen.“

– „Kopf nach links legen und den rechten Arm nach unten ziehen.“

Liepins holt fünf igelige Massagebälle aus der Tasche. Das ist auch so eine Sache, die Katja Kantke gefällt. Dass er immer neues, wie sie sagt, Spielzeug dabei habe. So werde es nie langweilig. Die Turner finden sich in Zweiergruppen und rollen sich gegenseitig mit den Kugeln über Schultern und Rücken. Mit Druck, in kreisenden Bewegungen. Für den Rollenden sei das gut, weil die Durchblutung der Handfläche gefördert werde, sagt Liepins, und der Berollte kann entspannen.

Und dann ist die aktive Pause zu Ende. Während Liepins seine Tasche wieder einpackt, gehen die Ersten schon wieder zurück an ihre Plätze, das Igelballgefühl prickelt noch auf dem Rücken. Die Muskeln haben sich entspannt, das Blut fließt wieder ungehindert durch die feinen Fasern hindurch. Die Spannung ist niedriger, Nähr- und Sauerstoff wird ausreichend transportiert. Jetzt kann der Mensch zurück an die Arbeit – oder essen gehen.

Kontakt:

Multi Fit Gesundheitsmanagement, Dyrotzer Straße 12a, Telefon 35 38 93 34, www.multifit-berlin.de

Literatur:

Manfred Schwarz: „Büro-Fitness für Sportmuffel“, Eichborn 2005, 12,90 Euro.

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