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Mode aus Berlin: Thone Negrón macht Mode mit Phantomschmerz

Die Mode von Thone Negrón hat Charme – den des alten West-Berlins. Trotzdem gehört sie ins Hier und Jetzt.

Da sitzt sie in ihrem kleinen Laden und kann nicht anders. Mode ist nun mal das, was Ettina Berrios-Negrón machen will. Sie hat eine sehr wertvolle Gabe – eine sehr genaue Vorstellung davon, wie jedes ihrer Kleidungsstücke aussehen soll. Ihre Kleider sind eben nicht der große Wurf, der am Ende eine bedauerliche Streuung hat, sondern ein präziser Schuss, der genau da trifft, wo die Designerin ihn haben will. Streuung bedeutet, eine Kollektion vom Negligé bis zum Wintermantel anzubieten und zu hoffen, dass es irgendwo auf der Welt jemanden gibt, der all das kaufen will und kann.

Also zeigt sie in ihrem Geschäft in der Schröderstraße in Mitte genau das, was sie kann, sie hält sich nicht streng an den Saisonrhythmus, die Kleidung kommt, wann sie fertig ist und wenn es zur Jahreszeit passt. Die Kleider kann man sich auf Maß schneidern lassen.

Sie spürt dem Stil des versunkenen West-Berlin nach

Ihre Mode umgibt etwas, bei dem man einen süßlichen Phantomschmerz des Vergangenen spürt – in diesem Fall den nachlässigen Charme West-Berlins. Den hat sie als Kind am eigenen Leib erlebt, in Zehlendorf wohnte sie, in Charlottenburg ging sie zur Schule, als sie neun war, fiel die Mauer. Ihre ersten Modefotos für Thone Negrón nahm sie in der weitläufigen Gründerzeitwohnung von Gaby auf, der Mutter einer Schulfreundin ihrer Schwester. Schon als 15-Jährige hat sie dort am Stuttgarter Platz viele Stunden verbracht.

„Ich habe diesen Stil schon in meiner Kindheit aufgenommen“, sagt Ettina Berrios-Negrón. Da gab es Frauen, die sie mit erzogen haben, wie die Cousine Heike, eine exzentrische Dame, oder ihre Patentante, die arbeitete für die Stiftung der Textilkünstlerin Lotte Hofmann. Immer wieder durfte sich die kleine Ettina die textilen Bilder anschauen.

Mit dem Konk gab es endlich eine Plattform für die neue Berliner Mode

Ettina Berrios-Negrón studierte Mode am Lette-Verein und mietete danach mit einer Kommilitonin einen Laden, um ein eigenes Label aufzubauen. Dann entdeckte sie die Arbeiten ihrer Kollegen: „Als ich die Sachen von ,Von Wedel & Tiedeken’ zum ersten Mal sah, bin ich fast ohnmächtig geworden.“ So verliebt war sie in die Kleider der anderen, dass sie die auch in ihrem Geschäft „Konk“ verkaufen wollte. So gab es 2003 endlich einen Ort, an dem man sich vergewissern konnte, dass es diese neue Berliner Mode wirklich gab: C.Neeon, Kaviar Gauche und eben auch Von Wedel & Tiedeken verkauften sie erst am Helmholtzplatz, ab 2006 dann in der Kleinen Hamburger Straße in Mitte.

Über ihre Liebe für die Mode im Allgemeinen ging Ettina Berrios-Negrón ein wenig der Traum abhanden, selber welche zu machen. „Ich habe mich nicht richtig getraut.“ Dabei tat sie das für andere souverän: erklären, warum sich der Kauf ausgerechnet jenes Kleides auf jeden Fall lohnen würde. Dass sie jetzt ein eigenes Label hat, liegt an den Etiketten. „Die Designerin Wibke Deertz ließ für mich 2008 Etiketten weben, das war so ein Gute-Laune-Projekt.“ Also dachte sie sich einen Namen aus, Thone wurde sie als Kind von ihrer Schwester genannt, Negrón ist ein Teil ihres Nachnamens. Plötzlich hatte sie es schwarz auf weiß: Thone Negrón hieß ihr eigenes Label.

Es dauerte noch zwei Jahre, bis sie ihre erste richtige Kollektion entwickelte und weitere zwei Jahre, bis sie endgültig ihren Laden „Konk“ in andere Hände gab. Den führt jetzt ihre Schneiderin: „Wir standen am Zuschneidetisch und sie sagte: ‚Eh der Konk stirbt, nehme ich ihn.’“

In Berlin funktioniert das System der Modeindustrie nicht

Jetzt ist Ettina Berrios-Negrón das, was sie immer sein wollte, Gestalterin, die sich in Farbe und Form verliert. Aber sie hat auch gelernt, dass Mode zum Kunden gehört. Sie legt Statistiken darüber an, wie gut sich eine Bluse verkauft und ob sie dazu ein ärmelloses Top anbieten muss. Sie kalkuliert, bis sie ihre Entwürfe zu einem Preis verkauft, den sie für realistisch hält. „Ich persönlich kenne niemanden, der 400 Euro für eine Bluse ausgeben kann.“

Ettina Berrios-Negrón gehört zu jenen Berliner Designern, die für sich erkannt haben, dass das System nach dem die Modeindustrie funktioniert, eben nicht einfach auf Berlin zu übertragen ist. Trotzdem wird von jungen Designern erwartet, dass sie so ihre Karriere aufbauen: Label gründen, zweimal im Jahr eine neue Kollektion entwerfen, Modenschauen organisieren, auf Messen zeigen und dann groß und berühmt werden.

Auch die Designerin von Thone Negrón war in Paris auf einer Modemesse. „Es war toll, alle waren begeistert. Die Amerikanerinnen sind ausgerastet, als sie die Kleider sahen, aber geordert haben sie nicht.“ Nachdem sie im März wieder in Berlin war, hat sich die 33-Jährige hingesetzt und kalkuliert, was sie das alles kostet, wenn sie so weitermacht: viel zu viel, um überleben zu können.

Die Porzellansammlung auf dem Kühlschrank passt zur nachlässig verwalteten Bourgeoisie

Das Wunderliche ist nun, dass sich all die Ernüchterungen, die sie durchgemacht hat, erst als Ladenbesitzerin und jetzt als Modeschöpferin, überhaupt nicht auf ihre Kleidung durchschlagen. Schwarz und zurückhaltend ist das Kleid aus einem Seidengemisch, mit halblangen Ärmeln und einem Rock, der weit über die Knie reicht. „Ich mag es anzogen.“ Leichthin elegant ist das, dramatisch dagegen der blutrote schwere, fast bodenlange Seidenrock, der mit einer beigefarbenen Bluse mit roten Knöpfen und grünen Ärmeln aussieht, wie die perfekte Ausstattung für Ingrid Bergmann in „Casablanca“. „Ich habe auch nichts dagegen, wenn man den Rock mit Birkenstockschuhen trägt, auch ein T-Shirt passt toll dazu, oder?“ In Sekundenschnelle ist man wieder in der Berliner Realität. Genau das ist es, was ihre Entwürfe so interessant macht, sie lassen Raum für den eigenen Gestaltungswillen.

Das ist so wie mit der Altbauwohnung am Stuttgarter Platz – so nachlässig verwaltete Bourgeoisie findet man vielleicht wirklich nur in West-Berlin - die Porzellansammlung auf der Kühlschrank-Gefrierkombination, der blank polierte Messingaschenbecher neben dem ledernen Fernsehsessel mit einer schon zurecht gelegten Zigarette. Wände in satten Grüntönen, die an manchen Stellen ausgeblichene Flecken haben.

Dass sie diese Szenerie benutzt, hat für die Designerin nichts mit Nostalgie zu tun: „Ich will einfach schöne Sachen machen.“ Mühelos kann man sich vorstellen, wie man in einem dieser Abendkleider in einem Fernsehsessel fläzt, eine raucht und sich elegant fühlt, einfach so.

Informationen unter: www.thonenegron.com

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