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Berlin: Mode: Knickerbocker auf der Warteliste

Ein himmelblauer Halbmond, drapiert mit einem altmodisch gestreiften Schlafanzug, Damenunterwäsche aus Charmeuse und allerlei andere nostalgische Utensilien, alle himmelblau - das kleine Schaufenster in der Joachim-Friederich-Straße 34 sieht aus, als gehört es zur Kulisse des aktuellen Films über die Berliner Star-Ganoven Erich und Franz Sass."Die haben für die Ausstattung des Films auch bei mir eingekauft", sagt Constanze Pelzer, die Inhaberin von "Glencheck".

Ein himmelblauer Halbmond, drapiert mit einem altmodisch gestreiften Schlafanzug, Damenunterwäsche aus Charmeuse und allerlei andere nostalgische Utensilien, alle himmelblau - das kleine Schaufenster in der Joachim-Friederich-Straße 34 sieht aus, als gehört es zur Kulisse des aktuellen Films über die Berliner Star-Ganoven Erich und Franz Sass.

"Die haben für die Ausstattung des Films auch bei mir eingekauft", sagt Constanze Pelzer, die Inhaberin von "Glencheck". So hat die gelernte Modistin vor zehn Jahren ihr Geschäft genannt, indem sie seither Mode und Accessoires von 1920 bis 1950 verkauft. "Alles Originale", darauf legt sie Wert, "und zu 90 Prozent aus Deutschland".

Wer das Lädchen betritt, verfällt unweigerlich dem Charme seines Interieurs. Schon die Ladenmöbel sind ein Erlebnis. Hinter den Klappen eines alten Bücherschranks traumhaft gemusterte Lavablestoffe aus den 30er und 40er Jahren für flatternde Sommerkleider, weiche Baummwollstoffe in pastellenen Tönen für Herrenoberhemden - "so chemisch reine Baumwolle macht heute nicht mal mehr die Schweiz", weiß die Ladeninhaberin.

Schmuck in allen Varianten: Strass, Glasperlenketten und winzige, funkelnde Weihnachtsbäume, die man in den USA zwischen 1925 und 1945 zur Adventszeit als Brosche trug. Berge von Schuhen, Hüten, neben Kleidung für Große auch Matrosenhänger für Mädchen und brave Anzüge mit knielangen Hosen für Jungen.

Stammkunden aus aller Welt frönen hier ihrer Vorliebe für Outfits einer scheinbar heilen Welt - eine Opernsängerin aus Australien ebenso wie "ganz normale Verrückte", wahrt Constanze Pelzer vornehm Stillschweigen über ihre Kundschaft, zu der in Berlin neben etlichen Künstlern - wer hat noch nicht Henry de Winter im Cut oder in Knickerbockern gesehen - auch die wachsende Tango- und Swing-Szene gehört. "Nach dem Titanic-Film wuchs die Nachfrage sprunghaft" erinnert sich die Inhaberin, und in Saarow spiele man in der Mode der 30er Jahre heute sogar Golf.

Nachschub des nostalgischen Angebots garantiert ein weitflächig gespanntes Netzwerk. Und eine Schiebermütze à la "Sass" kann man sich von der einstigen Modistin sogar machen lassen. Für echte Knickerbocker allerdings muss Mann sich ins Kundenbuch eintragen - "davon bekomme ich nur zwei Stück im Jahr."

Wer bei "Glencheck" für den Stil der 20er Jahre mit seinen Körpermaßen der Jahrtausendwende nichts Passendes findet, könnte in der Naugarder Straße 35 bedient werden. "Earthdrum" heißt der Laden in Prenzlauer Berg, in dem die in Chemnitz und in Weimar gelernten Maßschneiderinnen und in der Kreuzberger Modeschule ausgebildeten Designerinnen Angela Leonhardt und Simone Seidel ihre eigenen Kollektionen verkaufen. Für Damen nähen sie, aber "Herren werden nicht abgelehnt." Von der Laufkundschaft könnten sie dabei in der Naugarder nicht überleben - mit Modischem in großen Größen beliefern sie deshalb eine Ost-Berliner Boutiquen-Kette.

Längst nicht alles, was die beiden Frauen draufhaben, die sich in der Modeschule kennen lernten und seit 1996 zusammenarbeiten. Vorher waren sie Einzelkämpferinnen im "Westen", die 42-jährige Angela Leonhardt seit 1983, die 38-jährige Simone Seidel seit der Wende. Als Zimmermädchen, Kranführerin, Lagerleiterin und Änderungsschneiderin schlugen sie sich durch, bis sie ihren Traum verwirklichten: Mode machen. Auch Mode der 20er Jahre. Sehen und kaufen kann man das an jedem Wochenende auf dem Kunstmarkt in der Straße des 17. Juni. Die dort von Kopf bis Fuß à la 20er Jahre gewandeteten Ursula Klosa und Marlies Lorenz tragen und verkaufen, was in der Naugarder Straße für ihren auch privat bevorzugten Lebensstil der 20er genäht wird. "Nur die Accessoires sind nicht von uns" baut Angela Leonhardt einer möglichen Nachfrage bei "Earthdrum" vor. Und mit dem "Herzschlag der Erde" - so übersetzen sich Angela Leonhardt und Simone Seidel ihren Ladennamen - haben die wallenden Gewänder aus dieser Zeit auch nichts zu tun. Mehr mit der alternativen Hanfkollektion, mit der die beiden Frauen in ihrem ersten Laden in der Pappelallee in die Selbstständigkeit gingen.

Heidemarie Mazuhn

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