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Mode von gestern: Von wegen Liebestöter

Die Waltons aus der Kastanienallee: Joachim Pianka und seine Söhne verkaufen neue alte Klamotten.

Fast 30 Jahre Reisebüro sind genug. Die Leute buchen ihre Reisen ja immer mehr im Internet. „Hat keinen Spaß mehr gemacht“, sagt Joachim Pianka. Also musste für den gelernten Industriekaufmann und gebürtigen Franken, der seit 1978 Berliner und inzwischen 52 ist, eine neue Zukunft her. Die hat er – auch eine Ironie des Schicksals – ausgerechnet beim Handeln mit alten Textilien gefunden, deren Zeit selbst längst abgelaufen schien. Knopfleistenhemden, Unterwäsche, Nachthemden, Trainingsanzüge, Nickis, Blusen, Frotteeshirts, Polohemden, Anzüge – allesamt zwischen 1920 und 1980 hergestellt. Also alt und gleichzeitig neu, weil nie verkauft oder getragen, first- statt secondhand.

„Fein und Ripp“ heißt der mit viel Holz und einigen historischen Devotionalien ausstaffierte Laden, den Pianka seit zwei Jahren in der Kastanienallee führt. Nicht allein oder mit Angestellten, sondern im Familienbetrieb. Unter der Woche steht Vatern allein im Laden, freitags und sonnabends lösen ihn die Söhne ab. Der mit 25 Jahren jüngere, Aljoscha Augustin mit Namen, kommt gerade zum freitäglichen Dienstantritt aus Dresden angereist, wo er Soziologie studiert. Sein Halbbruder Marlon Putzke ist 29 und hat’s bequemer zur Arbeit. Der Schauspielschüler wohnt in Schöneberg.

Warum sie den Laden im Trio bestreiten? „Blut ist dicker als Wasser“, zitiert Joachim Pianka eine Weisheit, die noch älter als seine Produkte ist. Und Sohn Aljoscha fügt an, ihre kleine Schwester Marie sei 15 und werde auch schon angelernt. Als wortwörtliche Werbeträger sind die drei, die sich dem wochenends von der Straße hereinbrandenden Touristenstrom auch schon mal gemeinsam stellen, jedenfalls ihre eigene beste Empfehlung. In Leinenhosen oder Jeans, robusten Schuhen, Westen, Hosenträgern und Knopfleistenhemden sehen sie stark nach Mitgliedern der Fernsehfamilie „Die Waltons“ aus. Nur besser.

Leute, die ihren eher unter urbanen Bürohockern als im Holzfällerberuf anzutreffenden Kunden Rucksäcke der Berliner Bereitschaftspolizei, Taschenmesser oder lange Unterhosen verkaufen, sind spöttische Assoziationen natürlich gewöhnt. Trotzdem bringen Bezeichnungen wie „Liebestöter“ oder „Opahemden“ Joachim Pianka in Rage. Das seien nachhaltige Produkte aus Baumwolle, Leinen, Wolle oder Viskose, sagt er. Kein Vergleich zu dem Plunder, der heute so bei Textilketten angeboten werde. „Uns geht’s um Werte, um Beständigkeit“, spricht denn auch sein jüngerer Sohn, der Soziologiestudent.

Die Klamottenidee entsteht bei Vater Pianka vor einigen Jahren, weil plötzlich etwas fehlt. Nicht die Reisebürokundschaft, sondern der Zehnerpack Hemden, den Pianka jährlich von zu Hause, von seiner Oma auf der Schwäbischen Alb geschickt bekommt. Statt sich als schweigender Konsument in den erzwungenen Wäschewechsel zu fügen, bohrt Pianka schmerzlich bewegt beim Hersteller nach und gerät nach einigem Hin und Her an eine Firma, die 1981 die Kleiderproduktion eingestellt hat. Das prall gefüllte Lager begeistert ihn und die zur Hilfe herbeigerufenen Söhne. Sie kaufen das inzwischen Nostalgie gewordene Sortiment und brauchen acht Monate, um die vielen Tonnen Textilien nach Berlin zu verladen, wo sie sie zuerst auf dem Mauerpark-Flohmarkt feilbieten. Lehrgeld ist bei all dem jede Menge zu zahlen. „Wir hatten ja vorher nie was damit tun.“

Inzwischen ist „Fein und Ripp“ eine feste Größe in der durch Retrotrends und Heim-und-Garten-Romantik befeuerten Vintageszene. Und neben einigen in Stil und Qualität mit der Altware harmonierenden neuen Marken kommen stetig Posten aus aufgelösten Textillagern hinzu. Etwa der grau gestreifte Leinenanzug, den Vater Pianka am liebsten trägt. Das 275 Euro kostende Stück stammt aus Schweden, heißt „Prisoner Suit“ und wurde irgendwann zwischen 1910 und 1930 von Knackis gewirkt, also wortwörtlich hinter schwedischen Gardinen. Geschichten wie diese erzählen die drei natürlich auch ihren Kunden. Und die kramen dafür mit dem flauschigen Nicki aus den 70ern in der Hand laut nach ihren Kindheitserinnerungen. Die Gespräche mit den Leuten sind denn auch das, was den Söhnen am besten gefällt. Egal ob fertiger Soziologe oder Schauspieler, sie wollen weiter Familiengeschäfte machen.

Fein und Ripp, Kastanienallee 91-92 in Prenzlauer Berg, Mo-Sa 12-19 Uhr, www.feinundripp.de

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