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Berlin: Möbel auf Rezept

Von Ingo Bach Sie sollen Rezepte für teure HIV-Medikamente kassiert, dafür aber statt der Arzneimittel Parfüms oder sogar Möbel an die Kunden ausgegeben haben. Gegen sechs betrügerische Apotheker aus Neukölln und Wedding ermittelt nun die Berliner Polizei .

Von Ingo Bach

Sie sollen Rezepte für teure HIV-Medikamente kassiert, dafür aber statt der Arzneimittel Parfüms oder sogar Möbel an die Kunden ausgegeben haben. Gegen sechs betrügerische Apotheker aus Neukölln und Wedding ermittelt nun die Berliner Polizei . „Manche Apotheker haben einen regelrechten Kolonialwarenhandel betrieben“, sagt Jörg Engelhard, Leiter der Sonderkommission Medicus. Ihr Trick: Patienten gehen zu mehreren Ärzten und lassen sich teure Präparate verschreiben. Der Apotheker gibt ihnen für einen Teil des Rezeptwertes andere Waren oder Bargeld, rechnet aber das Arzneimittel bei der Kasse ab. Die Polizei hatte bei der Durchsuchung der Apotheken neue Betten gefunden, die schon zum Abholen bereitstanden. Dahinter stecke kriminelle Energie, wie sie bisher bei Berliner Apothekern noch nicht festgestellt worden sei, sagt „Medicus“-Chef Engelhard. Die Schadenssumme zu Lasten der Krankenkassen sei „eklatant“, aber wegen der laufenden Ermittlungen noch nicht genau zu beziffern. Es soll sich um mehrere hunderttausend Euro handeln.

Anonyme Anzeigen aus der Berliner HIV-Szene – der größten bundesweit – brachten die Krankenkassen und die Polizei auf die Spur. Die Kassen prüften daraufhin über eine Million Verschreibungen von Aids-Arzneien. Der Aufwand sei so riesig, dass so etwas nur nach konkreten Tipps aus der Szene durchgeführt werden könne, heißt es bei der AOK Berlin. Deshalb sei es auch so schwierig, den Betrügern auf die Schliche zu kommen, sagt Andreas Kniesche vom Berliner Ersatzkassenverband. „Wenn sich zum Beispiel ein HIV-Patient von mehreren Ärzten die gleichen Medikamente verschreiben lässt, um sie zu Geld zu machen, dann kann das keiner nachvollziehen.“ Die strengen Datenschutzbestimmungen verhinderten es, alle Verordnungen eines Patienten zusammenzuführen.

Die Handelsspanne gerade bei hochpreisigen Präparaten, die zur Behandlung von Krebs oder Aids eingesetzt werden, verführt zum Missbrauch. Bundesweit registrieren die Kassen seit einigen Jahren einen deutlichen Anstieg von Abrechnungsbetrügereien, auch in anderen Bundesländern wurden in der Vergangenheit vergleichbare Fälle von der Polizei aufgedeckt.

Oft sind es die Patienten selbst, die ihre Apotheker in Versuchung führen und ein Rezept zu Bargeld machen wollen. Das komme sehr häufig vor, sagt Medicus-Ermittler Engelhard. „Meist sind das Drogenabhängige, die sich lieber neuen Stoff besorgen wollen statt ihres Medikamentes.“ Engelhardt glaubt, dass es eine Dunkelziffer weiterer betrügerischer Apotheker in Berlin gibt. Dass jeder fünfte Apotheker betrügt, wie kolportiert wurde, mochte der Ermittler weder bestätigen noch dementieren. Bei der AOK heißt es, ein Fünftel sei wesentlich zu hoch gegriffen.

Die Berliner Apothekerkammer wehrt sich gegen die „pauschale Verurteilung eines ganzen Berufsstandes“, so der Geschäftsführer der Kammer, Rainer Auerbach. Die sechs Apotheker, gegen die jetzt ermittelt werde, seien Ausnahmefälle.

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