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Berlin: Monika Sievers (Geb. 1948)

„Du hast mir Weihnachten versaut.“

Ein Sarg aus Kiefernholz, rosa angestrichen und verziert mit Fotos, Postkarten, handgeschriebenen Wünschen, Sprüchen und Dankesworten, bemalt mit Herzen, Blumen, Sonnen und Regenbögen. Bunt wie ein LSD-Trip steht er auf einem in Stahl eingefassten Fließband in einer weiß gekachelten Halle vor einer kalt glänzenden Klappe. In dem Sarg liegt Monika Sievers, die mit 58 Jahren an Lymphdrüsenkrebs erkrankte, der sie innerhalb von 70 Tagen tötete, zum Schluss ein kahlrasiertes von Schläuchen durchstochenes Zerrbild ihrer Selbst, das zunehmend glaubte, nicht in einem Krankenhaus, sondern in einem Flugzeug zu liegen. Am 24. Dezember blieb ihr Herz stehen.

Ein Spruch auf ihrem Sarg: „Monika, du hast mir Weihnachten versaut“.

Darüber steht in giftgrünen Schnörkeln „Respect Mam“. Daneben eine Girlande, gebildet aus einem einzigen, immer wiederkehrenden Wort: Love.

Monika war von der Idee christlicher Nächstenliebe beeindruckt und beeindruckte mit ihrem hilfsbereiten, offenen Wesen viele. Religiös war sie dabei nicht. In den Siebzigern hatte sie Broschüren für den Kommunistischen Bund Westberlin verkauft. Ihr Freund Hörbie, damals bei den Autonomen, schnauzte sie an, sie solle lieber mit zur Demo gegen die alliierte Waffenshow kommen, anstatt mit ihren Prospekten rumzufuchteln. Hörbie hatte sie im Kindergarten kennengelernt, 1978. Er brachte seine beiden Töchter dahin, sie ihren Sohn. Beide waren im Elternbeirat. Beide hatten früh geheiratet und sich scheiden lassen.

Hörbie und Monika wurden ein Paar. Nach einem Jahr trennten sie sich. Monika wollte allein sein und wanderte erst einmal mit ihrem siebenjährigen Sohn durch Simbabwe. Ein Jahr später meldete sich Hörbie bei ihr und sie kamen wieder zusammen. Diesmal für 25 Jahre, den Rest von Monikas Leben.

Auf dem Sarg klebt eine Kinderzeichnung von Hörbies Tochter Stella. Monika auf einer Vespa, „Monica on the road“. Sie liebte die kleinen und großen Spazierfahrten. 1980 fuhr sie mit Hörbie in einem ausgemusterten englischen Krankenwagen sieben Wochen lang 10 000 Kilometer durch Italien, Frankreich, Portugal. Eine denkwürdige Reise: die Lichtmaschine hinüber, ein Teil des Dachs abgefahren, den Bus per Handwinde einen Berg hochgezogen.

Als Hörbie 1987 aus der kleinen gemeinsamen Wohnung in der Ebersstraße in Schöneberg wegwollte und nach Griechenland ging, für länger, besuchte sie ihn mit ihrem kleinen Renault-Kastenwagen. 2200 Kilometer durch Europa und wieder zurück. Hörbie wäre gern mit Monika zusammen in Griechenland gewesen, aber Monika wollte ihre Stelle als Sozialpädagogin nicht aufgeben. Die Kinder, die die Hauptschule nicht schafften und nun in Hauswirtschaft und Ernährung unterrichtet wurden, brauchten ihre Hilfe. Mit einer Kollegin richtete sie eine Schwarzgeldkasse ein, um Kinder mit besonders wenig Geld ein wenig unterstützen zu können. Außerdem war sie der Kummerkasten für jedermann, jung und alt.

Ende der Neunziger sollte jede Schule einen Sozialarbeiter bekommen. Das klang nach mehr Jobs, in Wirklichkeit gerieten viele Sozialarbeiter in einen Stellenpool, der sie in fachfremde Jobs oder die Arbeitslosigkeit entließ. Monika bekam zwei halbe Stellen; in beiden Schulen gab es kaum Problemkinder. Dort, wo man sie weggeholt hatte, war sie gebraucht worden, jetzt saß sie in ihrem Büro und wurde täglich freudloser. Hörbie deutete später ihre Krebserkrankung als Folge ihres schwindenden Lebensmutes. Die Hilfsbereitschaft in Person, die niemandem mehr helfen konnte. Am wenigsten sich selbst.

Auf den Deckel des Sarges hat Hörbie mit einem Lötkolben ein Herz eingebrannt. Natürlich ist er aus Griechenland zurückgekommen. 1989, kurz nachdem er sein Auto in einer Schlucht versenkt hatte. Er erlebte noch viel mit Monika, weitere Reisen, Freundschaften, Bootstouren in Ketzin auf einem geschenkten Eisenkahn und einem gekauften Boot mit Dieselmotor, Tanzabende, lange Gespräche bei Rotwein.

Die Stahlklappe öffnet sich, das Förderband setzt sich in Bewegung und trägt den bunten Sarg in eine Röhre, aus der die Flammen leuchten.

Bei der Beisetzung der Urne wird der Pfarrer von Hörbie eine schlichte Instruktion bekommen: „Halt dich kurz, Monika wollte keine Pfaffenrede“. Es wird Reggae gespielt werden, Monikas Lieblingsmusik. Bei der Trauerfeier in einer griechischen Taverne werden die Leute Geschichten erzählen, die sie mit Monika erlebt haben. Bei Ouzo und griechischem Essen wird Florian, ihr Sohn, auf dem Tisch tanzen, so wie sie es sich gewünscht hätte. Und Hörbie wird am nächsten Tag aufwachen, froh darüber, Monika all die Eindrücke von der Beerdigung erzählen zu können. Dann wird ihm einfallen: Es war ihre Beerdigung. Anselm Neft

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