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Verlassen. Nur noch Ermittler gehen im Haus der Scholls ein und aus. Foto: dapd

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Mord an Brigitte Scholl: Ludwigsfelde sucht ein Mordmotiv

Der ehemalige Bürgermeister von Ludwigsfelde soll seine Frau umgebracht haben. Jetzt rätseln die Menschen in seiner Nachbarschaft über die Hintergründe.

Ludwigsfelde - Die weißen Rosen auf dem Grab von Brigitte Scholl haben sich gut gehalten. Ein paar Tage liegt die Beerdigung zurück – da war ihr Ehemann Heinrich Scholl, der frühere Bürgermeister von Ludwigsfelde, noch in Freiheit. Seit Mittwochmorgen steht der 68 Jahre alte Politiker unter Mordverdacht: Die Staatsanwaltschaft Potsdam wirft ihm vor, seine Frau getötet zu haben. Wie und warum – das ist offen. Der einzige Hinweis des Sprechers der Staatsanwaltschaft, Ralf Roggenbuck: Aus Sicht der Ermittler ist das Tatmerkmal „Heimtücke“ gegeben. Auf Brigitte Scholls Urnengrab liegt mitten unter den Blumengestecken von Freunden und Nachbarn eines, auf dessen Schleife zu lesen ist: „In tiefer Trauer – Dein Heiner“.

So seltsam und befremdlich wirken die Tat und der Mordverdacht auf die Leute in Ludwigsfelde, dass kaum jemand offen darüber reden mag. Schon gar nicht im Rathaus. Der stellvertretende Bürgermeister René Böttcher lässt nur ausrichten, es gebe „keine Stellungnahme“.

Scholl war 18 Jahre lang Bürgermeister von Ludwigsfelde. In seiner Amtszeit hat sich der Ort, an dem sich wie eine ins Übermaß aufgepumpte Schlagader die Autobahn entlangzieht, gut entwickelt: Alles proper in dem Industriestädtchen, vom Rathaus über das Kulturhaus und die Mietshäuser der Wohnungsbaugesellschaft bis zur „Kristalltherme“.

Die Entwicklung nach der Wende halten die Leute Heinrich Scholl zugute. Eine Frau, die auf dem Spielplatz in der Nähe von Scholls Wohnhaus einen vermummten Jungen beaufsichtigt, will über den Politiker Scholl „nichts Schlechtes sagen“. Eine alte Dame sagt, Scholl sei als Bürgermeister „ein Gewinn“ gewesen, die ganze Sache mit seiner Frau indes eine „große Enttäuschung“.

Der Mann, der auf Politikerfotos um einen dynamisch-jovialen Eindruck bemüht war, gehörte offenbar zu den Kommunalpolitikern, die immer und überall präsent waren. Auf ungute Weise über Ludwigsfelde hinaus bekannt geworden war er durch ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Neuruppin. Die warf Scholl und dem Landrat Peer Gieseke vor, sie hätten sich von einem Investor unangemessen luxuriös bewirten lassen. Scholl, der seit 2008 im Ruhestand ist, und Gieseke haben das bestritten.

Gewohnt haben Heinrich und Brigitte Scholl nur ein paar kurze Fahrminuten entfernt vom Rathaus in einer kleinen Siedlung. Die Häuschen an der Walter-Rathenau-Straße sind mit fast schwarzen Holzlatten verkleidet, auch hier hört man die Autobahn rauschen. Sie seien im Krieg für die Arbeiter einer Autofabrik gebaut worden, sagt Peter Raabe, der ein paar Häuser weiter wohnt. Raabe ist der einzige aus der Nachbarschaft, der über das Ehepaar Scholl noch sprechen will – alle anderen winken ab. Raabe kannte die Scholls so gut, wie man sich aus jahrzehntelanger Nachbarschaft kennt.

Mit Heinrich Scholl sei er indes in den vergangenen Jahren „nicht mehr so vertraut“ gewesen – das Amt „färbt denn schon ab“, sagt der untersetzte Mann. Während drinnen nun schon den zweiten Tag Ermittler auf Spurensuche sind, steht Raabe in der Wintersonne vor dem Scholl’schen Haus, einen Packen Zeitungen und Post unter dem Arm, den Hemdkragen weit offen, und sinniert über den am Mittwoch bekannt gewordenen Mordverdacht: „So richtig geglaubt hat das keiner…“ Will sagen: Die Scholls mögen in den vergangenen Jahren nicht mehr so richtig zusammen gewesen sein – aber dass er sie deshalb umbringt, erschien dann doch unglaublich.

Das mit dem Nicht-mehr-richtig-Zusammensein hat Raabe eher aus ein paar Beobachtungen geschlossen als direkt erzählt bekommen. Heinrich Scholls Auto, ein neuer, hellbraun metallic-farbener Nissan, sei erst in Berlin zugelassen gewesen. Jetzt trägt das Auto, das verlassen neben dem Haus geparkt ist, ein Kennzeichen, das mit TF beginnt. Man erzählte sich Raabe zufolge nach 2008 überhaupt dies und jenes über den Bürgermeister: Etwa dass er in Berlin eine neue Partnerin habe. Brigitte Scholl betrieb derweil zu Hause noch ihren Kosmetiksalon – ein Messingschild am Eingang zeugt davon – und kümmerte sich nachmittags um ihren Hund. Vormittags Kundinnen, dann Freizeit und Freiheit: die 67 Jahre alte Frau machte auf ihre Umgebung offenbar einen zufriedenen und entspannten Eindruck – und der Hund, ein Spaniel, sei „ihr Ein und Alles“ gewesen, so Raabe.

Von einer zerrütteten Ehe und von einander mit offenem Hass verfolgenden Eheleuten war jedenfalls in der Nachbarschaft nichts bekannt. Um so düsterer wirkt der Vorwurf der Heimtücke, den die Staatsanwaltschaft erhebt: Brigitte Scholl ist, davon gegen die Ermittler aus, völlig arglos im Wald mit dem Hund unterwegs gewesen, als ihr Mann sie überfiel. An den Wegen in dem Föhrenwald hängen noch die Anfang Januar angebrachten Aufrufe der Polizei. Unter dem Bild einer lachenden dunkelhaarigen Frau heißt es, am 30. Dezember „wurde in diesem Waldstück der Leichnam einer weiblichen Person gefunden“.

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