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Moschee-Gemeinden und Flüchtlinge in Berlin: Pluspunkte für den Himmel

Viele Muslime glauben, wer Gutes tut, wird im Jenseits belohnt – und engagieren sich für Flüchtlinge. Das „Haus der Weisheit“ in Moabit hat am Wochenende mehr als 50 Neuankömmlinge aufgenommen. Auch viele andere Moscheen und Vereine sind aktiv.

„Ob wir was für Flüchtlinge tun?“, ruft Abdullah Hajjir ins Telefon. „Wir sind mittendrin!“ Also nichts wie hingeradelt in die Rathenower Straße 16 in Moabit.

Hajjir, 57, palästinensischer Jordanier, ist Vorsitzender der deutsch-arabischen Moscheegemeinde „Haus der Weisheit“. Das Gemeindezentrum ist ein rot verklinkerter 70er-Jahre-Bau mit zwölf Räumen, Duschen und Küchen. Es liegt im Flüchtlings-Kerngebiet zwischen dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Turmstraße und der Traglufthalle der Stadtmission in der Kruppstraße. Immer wieder habe die Gemeinde einzelne Flüchtlinge aufgenommen, oft übers Wochenende, sagt Hajjir, wenn die Gestrandeten keine anderen Schlafmöglichkeiten gefunden haben.

Am Freitag war es zu Tumulten unter den wartenden Flüchtlingen vor dem Lageso gekommen. Die Polizei rief an und fragte, ob Hajjir und seine Leute 50 bis 100 Flüchtlinge übernehmen könnten. Es war 22 Uhr, Hajjir und der benachbarte Verein „Freunde der Jugend und Familie“ sagten Ja. „Wir wollen den Menschen und Berlin helfen und nicht nur herumstehen und kritisieren“, sagt Hajjir. Diese Haltung vermittle er auch Neuankömmlingen. „Hier müssen alle mit anpacken.“ Im Hof sieht es entsprechend sauber aus. Das Technische Hilfswerk stellte Betten auf, die Berliner Tafel und Nachbarn aus Moabit brachten Essen und Hygieneartikel. Weit über 50 Menschen kamen im „Haus der Weisheit“ unter.

Der Ramadan gab den entscheidenden Schub fürs Engagement

„Die Deutschen arbeiten so viel ehrenamtlich, auch wir Muslime müssen was tun“, hat Muhammad Abdul Razzaque, 67, indischstämmig, schon vor einem halben Jahr zu den arabischen und türkischen Verbänden in der Stadt gesagt. Er ist unter anderem Vorsitzender der „Initiative Berliner Muslime“ in Wedding, zu der zwölf Moscheen gehören.

Der Ramadan im Juni/Juli brachte den entscheidenden Schub. Während dieser Zeit fasten Muslime tagsüber und sollen besonders gastfreundlich und hilfsbereit sein. Dutzende Moscheegemeinden hätten Flüchtlinge aus nahe gelegenen Heimen zum abendlichen Fastenbrechen eingeladen und bewirtet, Muslime wie Nicht-Muslime, Syrer, Afrikaner, Albaner, Kosovaren, sagt Razzaque. Seitdem treffen sich die Islam-Verbände wöchentlich und beraten, wie man weiterhelfen könne. Moscheen sammeln Kleidung und Kinderspielzeug, viele Gemeindemitglieder sprechen Arabisch und dolmetschen, sie helfen bei Asylanträgen und Behördengängen.

Jugendliche und Studenten des Vereins „Jung, muslimisch, aktiv“ haben sich junge Flüchtlinge als Tandem-Partner gesucht, zeigen ihnen die Stadt, besuchen Hertha-Spiele und helfen beim Einleben.

„Wir Muslime glauben, dass es Pluspunkte im Jenseits gibt, wenn wir Gutes tun“, sagt Abdul Razzaque. Außerdem sei das Engagement für die Flüchtlinge eine gute Möglichkeit, der Stadt zu beweisen, dass man ein wichtiger zivilgesellschaftlicher Partner ist. Die Islam-Verbände verhandeln gerade mit dem Senat über einen Staatsvertrag.

Razzaque selbst ist fast täglich unterwegs, koordiniert Initiativen und bringt Bedürftige und Helfer zusammen. An diesem Nachmittag trifft er er sich mit Ärzten und Freunden des Vereins „Medical and Humanitarian Support“. Sie sammeln Geld für Familien in Syrien, behandeln kostenlos Jugendliche aus Krisenregionen, Arabisch sprechende Psychologen kümmern sich ehrenamtlich um traumatisierte Neuankömmlinge.

In London kommen an einem Abend 225 000 Euro zusammen - so weit sind die Berliner Muslime noch nicht

Neulich war Razzaque bei einer Charity-Veranstaltung in London. Es kamen 225 000 Euro zusammen. Ein Unternehmer will damit eine Fabrik an der türkisch-syrischen Grenze bauen und Flüchtlinge in Arbeit bringen. „225 000 Euro – das muss man sich mal vorstellen!“, sagt Razzaque. In Berlin kämen an einem Abend höchstens ein paar tausend Euro zusammen. In London wohnen viel mehr reiche Muslime. „Aber wir arbeiten daran, dass so was auch hier möglich wird.“

Razzaque sieht allerdings auch die Gefahr, dass sich Fundamentalisten unter die Helfer mischen und die Hilflosigkeit der Flüchtlinge ausnutzen könnten, um sie aufzustacheln. Im Ramadan hatten viele Moscheen ihre Türen auch nachts aufgelassen, damit Bedürftige dort schlafen können. Das gebe es jetzt nicht mehr – auch aus der Sorge heraus, dass sich Extremisten einschleichen könnten. „Wir achten sehr genau darauf, wer bei uns ein- und ausgeht“, sagt er.

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