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Berlin: Museum der Dinge: Jeder Sammler ist ein Don Juan - Eine Ausstellung über die Unfähigkeit, sich von Dingen zu trennen

Sammeln kann man so ziemlich alles. Gemälde, Muscheln, Bierfilze oder Bücher sind nur die bekanntesten Sujets.

Sammeln kann man so ziemlich alles. Gemälde, Muscheln, Bierfilze oder Bücher sind nur die bekanntesten Sujets. Nichts, was nicht einen Sammler fände, was dem einen Abfall ist, ist dem anderen wertvolles Objekt der Begierde. Im allgemeinen gilt das Sammeln als beschauliche Tätigkeit. Wer Briefmarken mit der Lupe sortiert, steht im Ruf, ein ruhiger, konzentrierter Charakter zu sein. Das Sammeln kann aber auch als starker, kaum zu unterdrückender Trieb auftreten. Dann wird der Sammler zum Jäger - und zum Gejagten. Er beherrscht nicht mehr die Dinge, die Dinge beherrschen ihn. Auf dieser Schwelle zeigt das Sammeln sein Janusgesicht.

Goethe, der ein fanatischer Sammler war, hat diese Grenze in einen berühmten Dialog gefasst. "Und doch gibt es einen allgemeinen Punkt, in welchem die Wirkungen aller Kunst sich sammeln", lässt er sein "Ich" in "Der Sammler und die Seinigen" sagen. "Ja! ja!", antwortet ungeduldig der Gast, "bequemer ist es freilich, die Welt nach der Idee zu modeln, als seine Vorstellungen den Dingen zu unterwerfen." Dies ist vielleicht die Ur-Idee allen Sammelns. Besitzen wollen hat viel mit beherrschen wollen zu tun.

Nicht zufällig entstanden die großen Sammlungen am Hofe. Fürsten wie Rudolf II. sind die eigentlichen Pioniere des Museums, die staatlichen Museen haben sich aus ihren Beständen heraus entwickelt. Dem Sammel-Psychologen Werner Münsterberger gilt das Sammeln denn auch als eine "unbändige Leidenschaft", deren eigentlicher Zweck die Machtdemonstration ist. Die Kunstkammern des 16. und 17. Jahrhunderts sollten nichts weniger als den Kosmos abbilden. Der Sammler durfte sich so zum Herrn seiner eigenen Schöpfung aufschwingen, die Macht akkumulierte sich in "symbolischem Kapital", wie der Soziologe Pierre Bourdieu sagen würde.

Doch wer über Dinge oder Menschen herrschen will, muss erst einmal den Subjektstatus erringen. Wohl deshalb ist Sammeln eine natürliche Phase der Kindesentwicklung: Fußballerabziehbildchen, Münzalbum, Barbiepuppen- oder Pokemonkollektion haben noch immer ihren festen Platz in den Kinderzimmern. Nicht jeder vermag sich von seiner kindlichen Sammelleidenschaft zu lösen, die Psychoanalyse führt Sammeln auf das Erlernen der Stubenreinheit zurück. Der pathologische Sammler gilt ihr als "analer Charakter": Das erlernte Zurückhalten der Verdauung im Darm wird als die früheste Form des "Sammelns" interpretiert. Sigmund Freud wusste wovon er sprach, denn er war selbst Herr einer Kollektion mit mehr als 3 000 Stücken, darunter Hunderte Skarabäen, Ringe und Statuetten.

Sammeln kann aber auch Ersatzbefriedigung sein. Der alte Junggeselle, der Schnupftabakdosen hortet, kompensiert Freud zufolge die fehlende Möglichkeit sexueller Eroberungen. "Jeder Sammler ein Don Juan" - so die etwas verkürzte Botschaft der Psychoanalytiker. Auch der französische Soziologe und Kulturwissenschaftler Jean Baudrillard sieht das "System der Dinge" als "eine besondere Art der sexuellen Perversion". Ebenso wie der sexuelle Fetischist, der sich, unfähig, den Partner als eine ganze Person zu begreifen, an ein herausgelöstes Merkmal klammert, fixiert sich auch der Sammler aufs Detail und verliert dabei nicht selten den größeren Zusammenhang.

Vor diesen Gefahren sind auch die bedeutenden Sammler nicht gefeit. In der Regel seien auch sie vom Objekt selber geleitet worden, konstatierte Walter Benjamin in seinem Essay "Eduart Fuchs, der Sammler und der Historiker". Der zurückgezogene, unauffällige Berliner Beamte etwa, der mit seinem Ableben vor einigen Jahren einige Tausend Paar Damenschuhe hinterließ, schenkte den Modehistorikern einen einzigartigen Fundus. Je manischer und getriebener die Tätigkeit, desto bedeutender ist oft die Leistung für die Nachwelt. Nicht wenige Sammler frönen ihrer Passion aus Furcht vor dem Spott der Zeitgenossen im Verborgenen. Möge die Nachwelt anders über uns richten, hoffen sie im Stillen.

Die Ausstellung "sammeln!", von heute an im Museum der Dinge zu sehen, gibt Sammlern eine Chance. In langen Stahlregalen haben private Dingfetischisten ihre Schätze aufgebahrt. Dort finden sich zum Beispiel pastellfarbenene Polly Pockets aus Plastik, 250 Siku-Feuerwehrautos, Zimmermannsbleistifte in allen Farben, sowie ein Ausschnitt aus einer Kollektion tausender Kaffeerahmdosendeckel. Neben den privaten Sammlern outen sich bildende Künstler als objektbesessen: Unter den 250 russischen Gebrauchsgegenständen von Mats Theselius kann man die sowjetische Frühform der Teletubbis entdecken, Friederike Feldmann hat eine Wand mit ihrer Zahlensammlung bedeckt, die verschüttete Erinnerungen an die Tauschgeschäfte aus der Sesamstraße weckt, und der Aktions-Künstler und Sammler Olaf Jenk empfängt zu festgesetzten Zeiten in einem eigens eingerichteten Sammler-Büro.

Dort wird er Sammler fachmännisch beraten, in einem Tauschregal kann man mitgebrachte Gegenstände eintauschen. Wenn die Ausstellung deutende oder kulturgeschichtliche Hinweise auf die illustre Tätigkeit des Sammelns leider vollständig vermissen lässt, so geben die ausgestellten Alltagsgegenstände doch ein buntes Abbild der Dinge in ihrer Epoche. Beim Betrachten des Obskuritätenkabinetts bleibt der Wiedererkennungseffekt nicht aus. Und was immer die Theoretiker ins Sammeln auch hineingedeutet haben mögen, eines wird klar: Ein bisschen von einem Sammler steckt in uns allen.

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